Ironie ist eine Sackgasse

Bizarr, unironisch, aber prachtvoll: Die schwedische Rockband The Soundtrack Of Our Lives zeigte in der Neuen Welt in Berlin, wie sich die goldene Ära des Pops, die Sechziger- und Siebzigerjahre, ganz ohne Brechungen in die Gegenwart überführen lässt

von GERRIT BARTELS

Ebbot Lundberg, stämmiger Frontmann der schwedischen Rockband The Soundtrack Of Our Lives, ist ein reichlich bizarrer Typ: mit rotblonder Jesusfrisur steht er da auf der Bühne der Neuen Welt in Berlin, mit Wikingerbart, langer schwarzer Jacke und einem langen bunten Schal um den Hals. Ein seltsamer Mensch, eine Mischung aus Heilsbringer, Hippie und Quartalstrinker. Aber eben auch ein Rock’n’Roller, der sein Mikro wie ein Lasso zu schwingen weiß. Kaum weniger bizarr ist die Umgebung, in der The Soundtrack Of Our Lives ihren Auftritt absolvieren: eine Konzerthalle, die inmitten eines Vergnügungszentrums auf Neuköllner Art liegt, mit Sportlerkneipen, rotblau leuchtenden Diner-Verschnitten, Bowlingbahnen, Aldi- und Baumärkten und mehr.

Hierher ist ein durchweg braves, jugendlich-frisch aussehendes Publikum gekommen – aber nicht, um The Soundtrack Of Our Lives zu sehen, sondern den Headliner dieses Abends, die britischen Keane, die in der Nachfolge von Travis und Coldplay die Top-Herzschmerzheuler der Saison abgeliefert haben. Dementsprechend irritiert ist das Publikum, als auf der Theke der Neuen Welt plötzlich zwei Table-Tänzerinnen für Unterhaltung sorgen; und dementsprechend verhalten und verwundert wohnt es dem knapp einstündigen Auftritt von The Soundtrack Of Our Lives bei, dementsprechend wenig weiß es mit deren episch die Sechziger- und Siebzigerjahre abschreitenden Songs anzufangen.

Alles Umstände, die Lundberg und seinen Mannen nichts anzuhaben scheinen. Profis genug sind sie dafür: nach 17 Jahren im Musikbusiness, nach den wilden Jahren, in denen sie noch Union Carbide Productions hießen, manchen Auftritt splitternackt beendeten und in Stooges-Manier alles kurz und klein schlugen, was sich ihnen in den Clubs dieser Welt entgegenstellte. Und nach inzwischen vier The-Soundtrack-Of-Our-Lives-Alben, die ohne Eile produziert wurden und sich an einer von mal zu mal perfekteren Synthese von Pop, Rock und Barock versuchen. Schade nur, dass The Soundtrack Of Our Lives sich in der Neuen Welt nicht wirklich entfalten können: Ihre Songs brauchen Zeit, um in allen ihren hübschen, kleinen Details erfasst und aufgeschlossen werden zu können; und die Songs nehmen sich diese Zeit, die wollen ihre Referenzen in extenso erweisen: an Little Feat, wie unser Fotograf Roland Owsnitzki weiß, an die Stones natürlich, an die Stooges und Hawkind, aber eben auch an Big Star, die Byrds, die Beach Boys und wie sie alle hießen.

The Soundtrack Of Our Lives sind dieser goldenen Ära des Pops auf der Spur, sie versuchen die Geheimnisse hinter diesem Großpop der Sechziger- und Siebzigerjahre zu ergründen. Ernsthaft, aufrichtig, ganz ohne Brechungen, sorgfältig verankert im Hier und Jetzt: „Welcome to the future“, skandiert Lundberg und hebt die Arme beschwörend und weit ausladend, wobei man sich sofort an eine andere Songzeile von ihm erinnert: „I’ll try to stay away from the ironic dead end streets“.

Dazu leisten seine schnauzbärtigen und offene Hemden tragenden Gitarristen Schwerstarbeit: das eine Bein vor das andere gestellt und gepost, was die Posings hergeben, ohne dass das peinlich sein würde. Diese Schweden dürfen das, die können das, zumal ihren prachtvollen Songs sowieso nichts etwas anhaben kann. Dass am Ende das Publikum wie bei einer großen Samstagabend-Fernsehshow mitklatscht, passt dann auch. Es hat verstanden, die Botschaft ist angekommen, die Saat gelegt, und unironisch, wie Hippie Lundberg und seine Bikerjungs sind, bedanken sie sich überschwänglich und holen noch einmal das Letzte aus sich heraus.