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Archiv-Artikel

Terrorist erst per Gesetz

Ein Bruder von PKK-Dissident Selim Çürükkaya soll an die Türkei ausgeliefert werden – obwohl er in Bremen politisches Asyl fand. Doch das ist ihm nach Einführung der neuen Anti-Terror-Gesetze jetzt aberkannt worden. Anwälte warnen vor Folter

„Eine Auslieferung Çurükkayas würde das Asylrecht ad absurdum führen“

von Gernot Knödler

Sait Çürükkaya gilt als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Das hatte der türkische Kurde seit dem 13. Juli schriftlich. Dass zweieinhalb Monate später ein Dutzend Polizisten in das Studienkolleg der Uni Hamburg platzte, um ihn in Auslieferungshaft zu nehmen, hat ihn trotzdem kalt erwischt. Denn Çürükkaya ist politisches Asyl gewährt worden in Deutschland, und er hat sich seither auch nichts zu Schulden kommen lassen, was eine Verhaftung rechtfertigen würde. Doch sein positiver Asylbescheid erging vor dem 11. September 2001. Die seither beschlossenen Gesetzesänderungen ermöglichen es, ihn als potenziellen Terroristen anzusehen und ihm das Recht auf Asyl zu verweigern.

Sait Çürükkaya hatte sich 1989 im Alter von 22 Jahren der kurdischen Arbeiterpartei PKK angeschlossen. Er stieg schnell zum Funktionär und Kommandanten in einem der sieben Guerilla-Bezirken auf. 1998/1999 sei er mehrmals von der PKK festgenommen worden, weil er sich gegen eine Fortsetzung des Bürgerkrieges gegen den türkischen Staat ausgesprochen habe, teilen seine Anwälte Hartmut Jacobi und Heinrich Comes in einem Brief an verschiedene Flüchtlingsorganisationen mit. Çürükkaya floh in den Irak und nach einem Auslieferungsersuchen der Türkei weiter nach Deutschland, wo ihm am 17. Mai 2001 politisches Asyl gewährt wurde.

Drei Jahre später widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylbescheid. Begründung: Çürükkaya habe durch seine führende Position in der PKK seine Nähe zum Terrorismus gezeigt. Wegen seiner Erfahrungen lauere in ihm ein Gefährdungspotential für Deutschland. Ob und wie er sich politisch betätigt habe, müsse zu dessen Bewertung nicht in Erfahrung gebracht werden.

Çürükkayas Anwalt hält diese Argumentation für hanebüchen. „Sie hätten ihm ja schon damals kein Asyl gewähren müssen, weil sie wussten, dass er Kader der PKK ist“, sagt Hartmut Jacobi. Er hält es für fragwürdig, dass das Bundesamt den verschärften Paragraphen 51 des Ausländergesetzes rückwirkend angewandt hat. „Das hat mit Terrorismus-Bekämpfung nichts zu tun“, schimpft der Hamburger Anwalt, der für Çürükkaya vor dem Verwaltungsgericht Bremen gegen den Widerruf des Asyls klagt.

Die Vermutung des Bundesamtes, Sait Çürükkayas Abkehr von der PKK könne bedeuten, dass er deren früheren militanten Kurs weiterverfolgen wolle, hält dessen älterer Bruder Selim, ein bekannter PKK-Abweichler, für besonders absurd. Selim rechnete 1994 in einem auch auf Deutsch erschienen Buch mit der „Diktatur“ des PKK-Führers Abdullah Öcalan ab und wurde daraufhin mit dem Tode bedroht. Sein Bruder und andere PKK-Kommandanten hätten sich ja gerade deshalb mit Öcalan überworfen, weil sie zu der Ansicht gelangt seien, „dass der Weg der Gewalt nirgendwo hinführen werde“, sagt Selim Çürükkaya.

Er wirft der Türkei vor, sie wolle die kurdische Unabhängigkeitsbewegung als terroristisch brandmarken. Aus diesem Grunde versuche sie deren politischen Arm zu schwächen und die Vertreter einer politischen Lösung des Kurdenproblems in ihre Gewalt zu bekommen. Mit Blick auf diese Strategie sei der Antrag zu werten, seinen Bruder Sait auszuliefern. Ob diese Sicht der Dinge zutrifft, ist jedoch zweifelhaft. Beobachter bescheinigen der Türkei, sie habe ihre Kurdenpolitik in den vergangenen Jahren nicht zuletzt wegen ihrer EU-Ambitionen liberalisiert.

Die Anwälte Jacobi und Comes haben vor dem Oberlandesgericht Bremen gegen die drohende Auslieferung geklagt. Sie halten diese auf keinen Fall für gerechtfertigt, solange das parallele Asylwiderrufsverfahren am Verwaltungsgericht noch nicht abgeschlossen ist. Einen Asylberechtigten, der sich darüberhinaus „an keinerlei illegalen Aktivitäten in der BRD beteiligt hat, an den Verfolgerstaat auszuliefern“ würde „das Asylrecht endgültig ad absurdum führen“.

In der Türkei drohe Çürükkaya nach wie vor Folter. Außerdem müsse damit gerechnet werden, dass ihm mit Hilfe erpresster Zeugenaussagen der Prozess gemacht werde. In ihrem Jahresbericht 2003 würdigte Amnesty International zwar die Reformen der türkischen Regierung zum Schutz der Menschenrechte.

Noch sei es jedoch zu früh, „eine wesentliche Verbesserung der Menschenrechtslage infolge der Gesetzesänderungen erkennen zu können“. Anhaltende Berichte über Folterungen und Misshandlungen im Polizeigewahrsam gäben „weiterhin Anlass zu großer Sorge“. Das Bundesamt für Migration verwies nach Angaben der Anwälte dagegen darauf, dass aufgrund des internationalen Haftbefehls anzunehmen sei, dass Çürükkaya nicht mehr von Sicherheitsbeamten vernommen werden würde, sondern bloß von der Staatsanwaltschaft.