: Kein Einsehen im Sozialressort
Petitionsausschuss und Jugendamt meinen: Eine Mutter und ihre zwei Töchter sollen nicht in eine Hochhaussiedlung ziehen, wo den Mädchen das Missbrauchs-Trauma wieder hochkäme. Doch Soziales muss sparen: Die Familie gerät unter Druck
Bremen taz ■ Die Kassen sind leer. Im Sozialressort zumal. Für die kleine Familie K., eine Mutter und ihre beiden heranwachsenden Töchter, hat das verheerende Folgen. Am ersten Dezember werden Mutter und Kinder auf der Straße stehen – oder am Ende doch in eine Hochhaussiedlung ziehen müssen? Ein Horror. Denn in einer Großwohnanlage in der Vahr wurden die Mädchen vor acht Jahren vom Nachbarn missbraucht. Wieder an einen solchen Ort zu ziehen, würde den mühsam hergestellten Seelenfrieden der heute zwölf und 14 Jahre alten Mädchen erneut kaputt machen. Das sehen auch Jugendamt und Petitionsausschuss so. Aber das hilft wenig.
Schon seit Jahresbeginn hat sich die Lage in dem Waller Reihenhäuschen zugespitzt. Dort wohnen Mutter und Töchter seit dem Missbrauchserlebnis 1995 – um dem damals nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Täter aus dem Weg gehen zu können. Schon im letzten Jahr hätte die Familie dort ausziehen sollen. Das Amt für Soziale Dienste hatte mehrfach deutlich gemacht, dass die Miete zu hoch sei, nachdem zwei weitere Kinder ausgezogen waren. Doch das Ultimatum verstrich, ohne dass die allein erziehene Mutter K. eine Wohnung gefunden hätte. Denn es gab Handicaps: Einen erneuten Schulwechsel wollte die Mutter ihren Töchtern nicht antun. „Meine Kinder sind Opfer. Warum sollen sie auch noch die ganzen Nachteile haben?“, fragte die Mutter. „Und eine Hochhaussiedlung kommt nach allem was war nicht in Frage.“
Das sieht auch das Jugendamt so. Zwar sei ein Schulwechsel zumutbar, nicht aber der Umzug in eine Großwohnanlage, „da die Kinder in einer solchen traumatisiert wurden“, schrieb es im September. Erstmals bekam sie so von fachkundiger Seite Recht. Zu spät vielleicht.
Denn die Bremer Sozialbehörde zieht sich seit Mai hinter ein Verwaltungsgerichtsurteil zurück, in dem die Mutter unterlag. Die Sozialbehörde müsse deren zu hohe Miete von 785 Euro nicht zahlen – auch nicht, um Obdachlosigkeit von Mädchen und Mutter abzuwenden. Schon damals waren 2.000 Euro Mietrückstand aufgelaufen, weil Soziales seine Mietüberweisungen auf 390 Euro monatlich gekürzt hatte. Mittlerweile ist die Frau deswegen aus dem Haus geklagt.
Die Frau hätte eben schneller suchen sollen, sagten die Richter. Die besonderen Umstände der Familie, deren beide Tochter sich heute in Therapie befinden, berücksichtigten sie nicht. Die Folgen des Missbrauchs, „Anpassungsstörung mit Angst“, seien zu lange her, um „aus rechtlicher Sicht noch Gehör zu finden.“ Gudrun K. war außer sich. „Von den psychischen Folgen von Missbrauch haben die Richter offensichtlich keine Ahnung.“
Dennoch setzten die Juristen einen Meilenstein. Frau K. sei alleine verantwortlich. Das Amt für Soziale Dienste war damit aus der Verantwortung. Vielleicht war das ein Grund, der Sozialhilfeempfängerin umgehend noch mehr Kürzungen zuzumuten. Die Zusage, ein Deponat zu übernehmen, machte das Amt für Soziale Dienste rückgängig. Maklerkosten wollte der verschuldeten Frau niemand zahlen. Obendrein wurde die ursprünglich zugesagte Miethöhe von 420 Euro auf 390 gekürzt – in einer Bescheinigung vom 4. Juli 2003, die üblicherweise bei Vermietern vorgelegt wird. Doch sie war schon bei Ausstellung ungültig: Bis Januar 2003 sollte sie gelten. Ein Missgeschick, das nicht erwähnenswert wäre, müssten nicht Mutter und Töchter alleine die Konsequenzen tragen.
„Man glaubt offenbar, dass meine Mandantin sich nicht ausreichend um eine Wohnung bemüht hat“, sagt der erst spät eingeschaltete Anwalt Matthias Westerholt – der mit seinen Vermittlungsbemühungen zwischen Sozialhilfeempfängerin und Amt gescheitert ist. Unterdessen haben die Absurditäten einen neuen Höhepunkt erreicht, seit Gudrun K. bei der Wohnungshilfe war, jener letzten-Hilfe-Station, die Obdachlosigkeit verhindern soll, indem sie Übergangswohnungen anbietet. Nicht jedoch im Fall der kleinen Familie aus Walle. Die verfügbaren „Wohnungen in der Barenburg oder Tucholskystraße kommen für Frau K. und deren Kinder aufgrund bekannter Problematik nicht in Frage“, andere habe man nicht, teilte die Wohnungshilfe mit. Sie bestätigt indirekt, was Frau K. schon lange sagt: „Es ist fast unmöglich, eine Wohnung außerhalb der Wohnsilos zu finden – und dann noch privat und für 390 Euro.“
Die Lage von Frau K. hat sich inzwischen weiter verschärft. Wegen der Räumungsklage hat die mittellose Frau einen Schufa-Eintrag. Für die Wohnungsbaugesellschaft „Bremische“ war das ein Grund, die Wohnungssuchende als Mieterin künftig abzulehnen. „Die Lage ist ziemlich furchtbar“, sagt Rechtsanwalt Westerholt. Er erwägt den Gang zum Gericht.
Die Stadt habe bislang nur Forderungen gestellt, die seine Mandantin nicht erfüllen konnte, sagt Westerholt. Man habe ihr offenbar nicht geglaubt, dass sie sich um eine Wohnung bemühe. Ein Instrumentarium zur Hilfe gebe es für solche Fälle aber nicht. „Die Strategie ist offenbar, die Lage so auf die Spitze zu treiben, bis der Leidensdruck groß genug ist, dass Frau K. doch in einen Block zieht“. Der einzige Ausweg sei vielleicht, die Stadt zu verklagen, so dass sie Frau K. eine Wohnung außerhalb von Hochhaussiedlungen anbietet.
Dafür gäbe es vielleicht sogar ein wenig parlamentarischen Rückhalt. Denn auch der Petitionsausschuss meint, dass den Töchtern von Frau K. nicht zugemutet werden kann, in einer großen Wohnanlage zu wohnen. ede