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Archiv-Artikel

Verbotene Liebe auf Türkisch

Sie haben Angst vor ihren Eltern. Sie führen ein zweites Leben. Viele Schwule und Lesben mit türkischem Hintergrund waren lange unsichtbar. Einige von ihnen gehen nun in die Offensive

von JOHANNES GERNERT

Wenn Atilla Göktürks (Name von der Redaktion geändert) Eltern mal wieder nach Berlin kommen, und sie waren schon da, dann könnte es passieren, dass sie ihren Sohn zufällig auf der Straße treffen. Sie würden sich ein bisschen wundern, weil sie denken, er lebe in Süddeutschland, mit seiner Freundin. Cindy hat er sie genannt. Und Atilla möchte gar nicht genau wissen, was sie sagen würden, wenn sie denn erführen, dass Cindy Walter heißt oder so ähnlich, und immerhin schon fast 60 Jahre alt ist. Doppelt so alt wie Atilla also.

Diese Angst teilen einige seiner Freunde von Gladt, den Gays und Lesbians aus der Türkei, die sich einmal wöchentlich im Mann-O-Meter treffen und an diesem Wochenende mit dem Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule den ersten Bundeskongress homosexueller Migranten veranstalten.

Hakan Taș teilt sie nicht. Er hat sich vor seinen Eltern geoutet, als er 18 war. Zuerst wollte sein Vater mit ihm zum Arzt, um Heilungschancen zu diskutieren. Taș schlug ihm vor, sich selbst behandeln zu lassen. In den Neunzigern stürmte er dann mit anderen Schwulen ein Standesamt, um die Homoehe zu fordern. Türkische Medien berichteten. Sein Vater brach den Kontakt ab. „Solange man es für sich behält, solange wird es toleriert“, sagt Taș.

Auch andere aus der Gruppe nehmen die totale Tabuisierung von Sexualität als deutlichsten Unterschied zwischen dem, was man türkische Minderheits- und deutsche Mehrheitsgesellschaft nennt. „Wenn ein erotischer Film im Fernsehen läuft, wird sofort umgeschaltet“, sagt Mustafa (Name geändert). Homosexualität existiert höchstens als Schimpfwort. Wenn ein Unparteiischer beim Fußball schlecht pfeift, wird er ausgebuht. „Ibne Hakem“ nennen ihn die Zuschauer. Einen schwulen Schiedsrichter. Taș möchte das Wort zurückerkämpfen. Er sagt: „Ibneyim“ – „Ich bin schwul“.

Türken pauschal als schwulenfeindlich abzuurteilen sei „ein bescheuertes Vorurteil“, glaubt Koray Ali Günay. „Unterschicht-Leute sind homophob – egal ob türkisch oder deutsch.“ Nach Deutschland seien eben vor allem türkische Dorfbewohner gekommen. Bauern. In bayerischen Dörfern treffe man auf ähnliche Vorbehalte gegenüber Schwulen.

Günay ist Herausgeber von Lubunya, Schwuchtel heißt das, einem Magazin für Homosexuelle mit türkischen Wurzeln. Die Publikation entstand aus einem Gladt-Newsletter. Das Themenspektrum ist breit: „Aufenthaltsrecht, Partnerschaftsrecht, HIV, Frauenthemen“, zählt Günay auf. Türkische Lesben lassen sich nur schwer zum Schreiben motivieren. Vor allem, wenn Name oder gar Foto gedruckt werden sollen. Von seinem eigenen Outing erzählt er ganz beiläufig. „Mutter, ich bin schwul“, sagte er. „Bist du glücklich?“, fragte sie. „Das ist gut für mich“, sagte er. Und sie sagte: „Dann ist das so.“ Damit war die Sache erledigt.

Mustafa fürchtete Herzinfarkte, die er seinen Eltern ersparen wollte. Brutalste Totalausraster. Gesichtsverlust, Verstoß und öffentliche Ächtung. Als für ihn die Zeit der Hochzeit gekommen war, starb seine Mutter. Die Familie brach auseinander. „Ich weiß nicht, ob ich so stark gewesen wäre, mich zu drücken“, sagt er. So kam zur Trauer über den Tod der Mutter auch Erleichterung.

Eine Weigerung hätte weit reichende Konsequenzen gehabt. Nicht nur für die persönlichen Beziehungen. Wohnung, Geld und Job wären unsicher geworden. Seine wirtschaftliche Abhängigkeit hätte sich gezeigt. In der Türkei, wo es kein Sozialsystem gebe, herrschten andere Gesetze, sagt Mustafa. Auch in Deutschland vermitteln den Job oft die Verwandten. „Wenn du aus der Community rausfliegst, geht es dir ganz dreckig.“

Deshalb hat Attila seine fiktive Freundin Cindy. Deshalb hat er mit seiner Verlobten in der Türkei vor Jahren sinnlose Streits angezettelt, um die Hochzeit absagen zu können. Deshalb hat er Freundinnen gehabt, „aber beim Sex nie etwas gemacht“. Deshalb ist er nach Deutschland gegangen, um hier zu studieren, vor allem, um schwul sein zu können.

Deshalb würden seine Eltern auch herausfinden, dass er jetzt sogar so etwas wie verheiratet ist, per eingetragener Lebenspartnerschaft, wenn sie ihn bei einem Berlin-Besuch zufällig auf der Straße träfen. Nicht aus ökonomischem Kalkül, sondern weil er ältere Männer mag: „Ich bin keine thailändische Frau.“ Auch dass er gar nicht mehr studiert. Dass er in einem Restaurant arbeitet. Dass es ihm ziemlich gut geht. Dass sie sich gar nicht aufregen müssten. Selbst, wenn sie alles wüssten.