Rundgang für einen Unfertigen

Der Kaiser auf dem Set und die Grammatik des Westerns: Das Frankfurter Filmmuseum widmet dem westlichsten Regisseur Japans eine Ausstellung – Akira Kurosawa erscheint darin als detailbesessener Kinoverrückter, der nichts dem Zufall überließ

von SHIRIN SOJITRAWALLA

Selbst wer noch nie einen Film des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa gesehen hat, kennt eines der Hollywood-Remakes. So basiert John Sturges’ „Die glorreichen Sieben“ auf Kurosawas „Die sieben Samurai“, und Sergio Leone bediente sich für seinen Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“ großzügig bei Kurosawas „Yojimbo – der Leibwächter“.

Nun könnte man denken, ein japanischer Regisseur, dessen eigene Amerikakarriere glücklos verlief, fühle sich gebauchpinselt durch diese Art internationaler Anerkennung. Kurosawa aber fühlte sich mehr als missverstanden: „Die Samurai werden zum Beispiel durch Revolverhelden ersetzt, also durch einfache Gangster. Aber die Samurai sind das genaue Gegenteil davon. Samurai als Westernhelden, die mit Dieben kämpfen? Das meine ich, wenn ich sage, die Struktur dieser Filme sei grundsätzlich falsch“, sagte er, obwohl er immer wieder darauf hinwies, wie viel er selbst von der „Grammatik des Western“ gelernt habe. Besonders gern soll er sich an „einen ausgesprochen männlichen Zug“ der Filme von Williams S. Hart und John Ford erinnert haben. Zwei Dinge blieben ihm im Gedächtnis: „Jener verlässliche männliche Geist und der Geruch nach Männerschweiß.“

Oft wurde Kurosawa als westlichster Regisseur Japans bezeichnet, denn immer wieder zeugen seine Filme von einer Verbindung ost-westlicher Traditionen. In seiner Autobiografie offenbart Kurosawa eine Liste von nahezu 100 amerikanischen und europäischen Spielfilmen, die ihn als Kind beeindruckt haben. Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main ehrt den vor fünf Jahren gestorbenen japanischen Regisseur nun mit einer Filmreihe sowie einer kleinen, feinen Einzelausstellung. Dort findet sich die Filmliste gleich am Beginn des chronologisch angelegten Rundgangs.

Doch nicht nur Filme hatten es ihm angetan, wie die Ausstellung illustriert. Kurosawa, 1910 in Tokio geboren, der selbst ursprünglich Maler werden wollte, verehrte zudem Van Gogh, Shakespeare sowie einige russische Schriftsteller. Später verfilmt er nicht nur Shakespeares „Macbeth“, sondern auch Dostojewskis „Der Idiot“ sowie Gorkis „Nachtasyl“, und für sein Filmepos „Ran“ ließ er sich von King Lear inspirieren.

Allmächtige Präsenz

Die Ausstellung im Filmmuseum – im minimalistisch japanischen Dekor – gleicht einem begehbaren Fotoalbum: viele Privatschnappschüsse, aber auch Kinoplakate, Fotos und bewegte Bilder aus seinen Filmen bekommen die Besucher zu sehen. Hier wird an seinen größten Erfolg erinnert: „Kagemusha“, für den Kurosawa 1980 die Goldene Palme in Cannes erhielt, dort ehrt eine Wand seinen Lieblingsschauspieler Toshiro Mifune. Hinzu kommen Drehbücher, Storyboards und Requisiten aus dem Nachlass Kurosawas, die nun zum ersten Mal in Europa zu sehen sind.

Der Rundgang ist mit zahllosen Kurosawa-Zitaten tapeziert, die viel sagen über den Regisseur und wie er sich selbst und seine Filme sah. Den Kostümen aus dem Filmepos „Ran“ widmet die Ausstellung besonderes Augenmerk. Einige der Originalkostüme werden unvermeidbar leblos ausgestellt, darunter auch eine Samurai-Rüstung, was sich spektakulärer anhört, als es aussieht. Aufsehen erregend indes ist die ausgeklügelte Farbgestaltung in diesem Film, der einen Oscar für seine Kostüme erhielt. Mit der Kostümbildnerin Emi Wada entwickelte Kurosawa eine Dramaturgie, die jedem Charakter eine eigene Farbe zuordnet. Die Zettel, auf denen das minutiös aufgemalt und aufgeschrieben wurde, sind in Frankfurt zu sehen; sie zeugen von Kurosawas Detailbesessenheit und Filmverrücktheit. Er überließ am Set nichts dem Zufall und auch nur ungern anderen. An den Drehbüchern arbeitete er mit, meist war er auch selbst für den Schnitt seiner Filme verantwortlich. Er wollte alles unter Kontrolle haben, seine schier allmächtige Präsenz am Set brachte ihm den nicht nur nett gemeinten Spitznamen „Tenno“ (Der Kaiser) ein. Auf den vielen Fotos in der Ausstellung sehen wir einen sympathischen Mann, fast immer mit Sonnenbrille auf der Nase, Mütze auf dem Kopf, einer Zigarette in Hand oder Mund und einer müden Sehnsucht im Gesicht.

Das Leben kennen lernen

Kurosawa selbst verstand seine Filme als den Versuch einer Antwort auf die Frage, warum die Menschen nicht glücklicher miteinander leben könnten. Dabei waren es die „unfertigen Charaktere“, die er, der sich auch selbst als „unfertig“ ansah, besonders liebte. Wie wohl auch den todkranken Verwaltungsangestellten Kanji Watanabe in seinem 1952 fertig gestellten Film „Ikiru – Einmal wirklich leben“, der in Anlehnung an Tolstois „Der Tod des Iwan Iljitsch“ entstanden ist. Der Film erzählt die Geschichte eines Mannes, der nur noch drei Monate zu leben hat und nun verzweifelt versucht, das Leben kennen zu lernen.

Diesem Schwarzweißfilm widmet die Frankfurter Ausstellung ihr wohl anrührendstes Eckchen: Eine Schaukel hängt bewegungs- und damit nutzlos an der Decke. Darauf liegt der Hut, den Takashi Shimura alias Kanji Watanabe im Film trägt. Hinter der Schaukel sehen wir den dazugehörigen Filmausschnitt: Watanabe sitzt mit leicht gebeugten Schultern auf einem Kinderspielplatz, schaukelt sachte im Schneegestöber und stirbt. Glücklich. Und Tolstoi erklärt uns, warum: „Die Angst war nicht mehr da, weil auch der Tod nicht mehr da war. Anstelle des Todes war ein Licht da.“

Bis 4. Januar 2004. Katalog 17,50 €. www.deutsches-filmmuseum.de