: Vier Hände für ein Halleluja
Religion ist nicht per se mit Askese verbunden. Schwester Andrea und Schwester Thekla zum Beispiel kamen erst übers Kloster zum Wein
VON CORNELIUS UND FABIAN LANGE
Ein Telefon klingelt. Es klingelt noch einmal. Eine von den Damen, die mit uns im Probierzimmer am Fasstisch sitzen, steht auf und verschwindet in der Tiefe des Raumes. Von oben bis unten ist sie in tiefschwarzen, fließenden Stoff gehüllt. „Moment, ich werde sie fragen, mach ich sofort, einen Moment bitte.“ Mit entschiedenem Schritt kommt sie zurück an unseren Tisch. Beim Gehen raschelt sie ein wenig.
Ein kleiner weißer Rahmen rund um das Gesicht verleiht diesem eine besondere Ausdruckskraft. „Fahren Sie einen blauen BMW?“, fragt sie mit fester Stimme. Schwester Andrea und Schwester Thekla gehören zur Benediktinerinnenabtei des Klosters St. Hildegardis in Rüdesheim am Rhein. 57 Nonnen leben hier. Doch nur zwei von ihnen pflegen eine alte Tradition der Klosterschwestern: den Weinbau. Eine Arbeit, die bis in die Zeit der Gründeräbtissin Hildegard von Bingen, bis ins zwölfte Jahrhundert, zurückgeht. Doch heute gibt es in Deutschland bei den Benediktinern nur noch die Schwestern im Rheingau und eine in Franken.
Drei Nonnen sind der Rest einer einst nicht nur für diesen Orden bedeutenden Kultur: Bis zur Zeit der Säkularisierung war der Weinbau überwiegend in der Hand der Klöster. Es waren die Mönche, die im Mittelalter entscheidende Impulse gaben, wenn es um die Steigerung der Qualität in Weinberg und Keller ging.
„Das Weintrinken haben wir im Kloster gelernt“, sagen die beiden unisono. Überhaupt, die uniforme Ordenstracht enthebt die Schwestern ihrer Individualität. Ein paar Stunden gemeinsame Zeit, da erfährt man nur wenig über die persönlichen Biografien zweier Frauen, die sich schon in jungen Jahren entschlossen haben, ins Kloster zu gehen. Mit allen Konsequenzen.
Als unsere Mitschwester, die für den Wein bislang zuständig war, mit siebzig Jahren ausschied, wurde die Arbeit in Weinberg und Keller an uns herangetragen.“ Feinsinnig umschreiben die Schwestern ihren Weg zum Wein – vermutlich keine reine Herzensangelegenheit, wie man erahnen kann. „Vor fünf Jahren haben wir eine Ausbildung im eigenen Betrieb gemacht und sind auf die Berufsschule in Geisenheim gegangen.“ So wurden die Nonnen zu Winzerinnen, zu doppelten Exoten in einem immer noch von Männern dominierten Beruf.
Die Schwestern siezen sich untereinander. „Das ist bei uns üblich“, sagt die Bremerin Thekla. Sie lässt sich Zeit mit den Antworten – vielleicht weil sie schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht hat. „Nonnen müssen für alles herhalten“, sagt sie und dass sie auf der Weinmesse „ProWein“ in Düsseldorf schon mal angesprochen wurde, ob sie und ihre Begleiterin wirklich echt seien. Schwester Andrea ist ein wenig forsch, sie stammt aus Rüdesheim. „Mit dem Weinbau hatte ich von zu Hause aus nichts am Hut.“
Als St. Hildegard vor tausend Jahren gegründet wurde, hatte man für den Haus- und Messwein direkt zu Füßen des wuchtigen, monumental aufsteigenden Klosters auch einen Weinberg angelegt. Wie es sich gehört, ist er von einer Mauer umgeben. Inzwischen ist die Rebfläche auf insgesamt 6,5 Hektar angewachsen, und die beiden verwenden die meiste Arbeitszeit auf Marketing und Verkauf. Neuerdings schicken sie ihre Weine sogar zu Verkostungen und Wettbewerben – mit allen Konsequenzen, Verriss inklusive.
Die „Schwestern in vino“ vertreten in jeder Hinsicht eine klare Linie, auch ästhetisch. Die Weinetiketten ihrer Klosteredition beziehen sich auf das Hauptwerk der Mystikerin Hildegard von Bingen („Scivias Domini – Wisse die Wege des Herrn“). Auf den Etiketten leuchtet die Miniatur „Die Chöre der Engel“. Und in Zukunft wird der Klosterwein wohl noch rosige Zeiten erleben. Denn schon heute tritt das Schwesternduo mit einem Trio aus dem Jahrgang 2003 auf, in dem sich die genetische, klimatische und kulturelle Dimension des Rheingaus idealtypisch spiegelt: Riesling, Rheintal, Klostermauern.
Dazu gehört einmal der Domus Domini („Haus des Herrn“), eine trockene Riesling-Spätlese. Cremig-weich und würzig-duftig wie ein vollreifer Pfirsich. Nachhaltig, komplex und sehr temperamentvoll, der so genannte Mons Sanctus („Heiliger Berg“), in dem die Schwestern die besten Trauben vom Rüdesheimer Klosterberg zusammengefasst haben: eine halbtrockene Spätlese. Sie schenkt der Nase ein kribbelndes, vibrierendes, ziseliertes Riesling-Erlebnis, dem Mund mineralische Akzente mit herrlich reifen Mirabellen und einem Hauch Vanillepudding.
Und dann der erwähnte Hildegardis Scivias („Hildegard: Wisse die Wege“): ein Riesling mit eleganter Restsüße. Ein Hauch von reifsten Aprikosen klettert bei seinem Genuss in die Nase. Eine fruchtig cremige Textur füllt den Mund, es folgen Stromschnellen, deren mitreißende Energie sich aus dem Besten speist, was der Riesling am 50. Breitengrad zu leisten in der Lage ist.
Wie ein steinernes Schiff thront das Kloster über dem Rhein. Während hier oben klösterliche Ruhe herrscht, geht es unten in Rüdesheim ganz anders zur Sache. Evergreens und Schunkelschlager schallen wie in vielen Weinorten den Touristen entgegen, wenn sie an den laubenartigen Weingärten entlangflanieren. Drinnen sitzt eine Menschenmischung, wie sie nur der Interkontinentaltourismus unserer Zeit gebären kann. Japaner mit roten Köpfen. Enthemmte Australier. Schunkelnde Dänen unter Kunststofflaub und Plastiktrauben. Singende Engländer mit Germanenhelmen auf den Köpfen. Sie lustwandeln auf den Spuren der Rheinromantik. In Tüten führen sie Solinger Stahlwaren, Schwarzwaldmädchen, Bierseidel mit sich, die rund um die Drosselgasse angeboten werden. Die Drosselgasse, das ist so eine Art 365-Tage-Oktoberfest für Weinfreunde.
Der Rheingau ist eine dem Rhein folgende Region zwischen Hochheim im Osten und Lorch im Westen. Ein relativ kompaktes und homogenes Weinbaugebiet. Geologisch gesehen ist Rüdesheim ein Ort des Übergangs von den moderaten Hanglagen im Osten hin zu den vom Schiefer geprägten Steillagen im Westen. Und der Rüdesheimer Klosterberg ist eine der höchstgelegenen und deshalb kühlen Lagen des Rheingaus. Da kann es schon einmal Schwierigkeiten geben, dort reife Trauben mit weicher Säure zu ernten. Eine echte Herausforderung. Wenn uns ein Wein gefällt, sagen die Schwestern jedes Mal synchron: „Das wird Herrn Steinheimer aber freuen!“
Herr Steinheimer, der Mann in absentia, ist der Kellermeister von Sankt Hildegard. Mit ihm verfeinern Andrea und Thekla ihre Qualitätsstrategie. In einigen Weinbergparzellen halbieren sie die Trauben, damit der Traubenzylinder im weiteren Wachstum locker beeriger wird. So kann die Fäulnisanfälligkeit der Trauben verringert werden. „Nein, das ist keine Verschwendung, das steigert die Qualität!“, sagt Schwester Andrea. „Der Mensch soll die Natur und seine Verstandesgaben nutzen“, fügt Schwester Thekla hinzu. Und betont, dass sich der Wein nicht von selbst verkauft, nur weil er aus dem Kloster stammt. „Die Menschen sind viel wählerischer beim Wein geworden. Auch wir müssen neue Kunden gewinnen.“
Der Tag der beiden Winzerschwestern beginnt wie der aller anderen Nonnen auch mit dem ersten Gebet morgens um halb sechs, der Laudes. Um halb acht beginnt die Messe. Um zwölf folgt das Mittagsgebet, die Sext. Nur während der rund dreiwöchigen Weinernte sind die beiden von den weiteren Andachten des Tages freigestellt, von der Vesper um halb sechs und dem Abendgebet, Complet, um Viertel nach sieben.
Den Rhythmus eines Erntetages diktiert indes eine kremweiße Traubenpresse, Baujahr 1964. Zwei Keltern am Vormittag, zwei bis drei am Nachmittag. „Wir pressen die Trauben nur mit ganz wenig Druck, je sanfter, desto besser. Und das dauert seine Zeit.“ Doch der hydraulischen Kelter wird bald das letzte Stündlein schlagen: „Wir haben schon Rückstellungen gebildet. Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld so eine neue Presse kostet!?“ Wenn erst mal genug Geld zusammen ist, darf man gespannt sein, was diese beiden Winzerinnen noch alles aus ihrem Berg und ihrem Keller herausholen.
CORNELIUS LANGE, Jahrgang 1963, lebt in Wiesbaden. Sein Bruder FABIAN LANGE, Jahrgang 1965, in Frankfurt am Main. Die Brüder produzieren TV-Reportagen und schreiben regelmäßig Koch- und Weinkolumnen. Von ihnen sind zahlreiche Bücher über Wein, Genuss und Küchenhandwerk erschienen. Darunter „Keine Angst vor Wein! Die ultimativen Insidertipps für Ein-, Um-, und Aussteiger“ im Hallwag-Verlag