: Wenn der Arbeitsplatz zum Armutsrisiko wird
Die Arbeitnehmerkammer stellt den dritten Armutsbericht für das Land Bremen vor. Wieder gibt es mehr Arbeitslose, mehr Sozialhilfeempfänger, mehr Wohngeldbezieher, vor allem aber mehr und mehr arme Kinder. Tendenz: weiter steigend. Ganz schlecht sieht es für Bremerhaven aus
Bremen taz ■ Für arme Menschen in Bremen war 2003 ein ganz schlechtes Jahr. Fast alle Zahlen, an denen sich die materielle Armutsentwicklung ablesen lässt, haben sich „dramatisch verschlechtert“. Das ist die Bilanz des dritten Armutsberichtes für das Land Bremen, den der Geschäftsführers der Arbeitnehmerkammer, Hans Endl, gestern vorstellte.
Es gibt nicht nur mehr Arbeitslose, mehr Sozialhilfeempfänger und mehr Menschen, die Wohngeld beantragen müssen, um das Dach über ihrem Kopf zu bezahlen. Als „besonders alarmierend“ wertete Endl, dass auch immer mehr Kinder und Jugendliche auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind.
Annähernd 20.000 BremerInnen im Alter von bis zu 20 Jahren sind von der öffentlichen Stütze abhängig, 526 mehr als im Vorjahr. In Bremerhaven aber sei die Steigerung „geradezu katastrophal“, so Klaus Jakubowski, der als Referent für Sozialpolitik den Armutsbericht betreut hat. 1.571 Kinder und junge Erwachsene seien dort sozialhilfebedürftig, 34,8 Prozent mehr als 2003. Rund 25.000 Kinder im Lande Bremen gelten damit als arm. Statistisch ausgedrückt heißt das: Ihre Eltern verfügen über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens. So hat es die EU festgelegt. Für eine allein stehende Person liegt die „Armutsschwelle“ derzeit bei 720 Euro.
Was Kinderarmut konkret bedeutet, zeigt sich besonders deutlich an sozialen Brennpunkten, wie Bremerhavens Ortsteil Lehe einer ist: Armut macht krank. Ein Drittel aller Kids dort zeigten Verhaltensauffälligkeiten, führte Carola Bury, Referentin für Gesundheitspolitik, aus. Sie könnten sich nicht konzentrieren, würden ruhelos oder aggressiv, schüchtern oder distanzlos. Bei jedem fünften Kind müsse darüber hinaus auch die sprachliche Verständigung als problematisch angesehen werden. Und am Ende eines Monats, so berichteten LehrerInnen und ErzieherInnen, gebe es Kinder, die nichts mehr zum Frühstück haben und hungrig in die Schule oder den Kindergarten kämen.
Zwar ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Bremen im vergangenen Jahr „nur“ um 256 Personen angestiegen, in Bremerhaven jedoch um 2.128 – auf insgesamt 61.000. Das entspricht einer Zunahme um 4,1 Prozent.
Zweistellig angestiegen ist hüben wie drüben die Zahl derer, die ohne Wohngeld nicht mehr über die Runden kommen. In Bremen gab es 2003 einen Anstieg um 11,6 Prozent auf 16.922, in Bremerhaven ist der Sprung fast doppelt so groß, von 5.018 auf 6.122. Dabei geht es keineswegs um die klassischen BezieherInnen der Stütze, weil diese ohnehin eine eigene Förderung bekommen. Wer betroffen sei, sagte Jakubowski, habe in aller Regel durchaus einen Arbeitsplatz – aber eben keinen, von dem er leben könne. In diese Gruppe fallen viele, die sich in Leih- oder Zwangsteilzeit befinden, aber auch 400-Euro-Jobber und andere Angehörige des Niedriglohnsektors.
„Mit der Einführung von Hartz IV wird sich dieses Problem der ‚working poor‘ noch verschärfen“, beschreibt Jakubowski seine Erwartung für den nächsten Armutsbericht. „Es ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen“. Jan Zier