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Fortschritte vor Kameras

Gute Neuigkeiten vom Leipziger Dokumentarfilmfestival: Die Besucherzahlen steigen – und die Dokumentarfilme sind entgegen allen Vorurteilen oft sehr anrührend oder sehr komisch geraten

Wenn ehemalige Kader in dem Film „Neues Deutschland“ über jetzt und früher reden, mischt sich Tragik mit Komik

VON DETLEF KUHLBRODT

Ein gelungener Leitungswechsel. Zum Schluss des 47. Leipziger Internationalen Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm am Sonntagabend wurde der ehemalige Festivaldirektor Fred Gehler – der große Cineast, der die vergleichsweise schmal budgetierte Dokfilmwoche in der schwierigen Postwendezeit konsolidiert hatte – verabschiedet und mit einer Goldenen Taube für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Zugleich wurde das erste Festival seines Nachfolger Claas Danielsen ein großer Erfolg: Die Besucherzahlen stiegen um ein Drittel, der neu eingeführte deutsche Dokumentarfilmwettbewerb und eine „Life is terribly funny“ betitelte, äußerst unterhaltsame Reihe wurden vom Publikum gut aufgenommen.

Und es stimmt ja auch: In den fünf Tagen zuvor konnte man großartige Filme sehen und ärgerte sich nur über die Entscheidung der Jury, der britisch-deutschen Produktion „Touch the sound“ von Thomas Riedelsheimer eine Goldene Taube im Langfilmbereich zu verleihen. Nicht nur, weil das Porträt der fast gehörlosen Perkussionistin Evelyn Glennie eine Spur zu schick wirkte. Sondern auch weil er das Preisgeld von 10.000 Euro gar nicht nötig gehabt hätte – er ist ohnehin schon für den Europäischen Filmpreis nominiert.

Viel eher hätte man die Goldene Taube Katharina Peters gegönnt, deren Film „Am seidenen Faden“ den Preis der Leipziger Jugendjury, den des internationalen Verbandes der Filmjournalisten, den der Ökumenischen Jury sowie eine halbe Silberne Taube gewann, aber eben viel weniger Geld. „Am seidenen Faden“ ist ein berührendes Videotagebuch, in dem die ehemalige Experimentalfilmerin die Folgen eines Schlaganfalls beschreibt, den ihr Mann, ein Musiker, sechs Monate nach der Heirat auf einer Reise nach New York erlitt. Anfangs ist er noch in Lebensgefahr, dann beginnt der langwierige Prozess der Heilung. Der bewundernswert vitale Boris wird zum Kind, das die elementarsten Dinge wieder lernen muss, und seine Frau wird zur Mutter. Eben noch wollte sie ein Kind von ihm; nun muss sie ihn windeln, und er sabbert beim Essen.

In ihrem Videotagebuch dokumentiert Katharina Peters die langsame Rekonvaleszenz ihres Mannes, den Kampf beider um ihre Beziehung, die psychischen und sozialen Folgen des Unglücks. Der Akt der Aufzeichnung, der Objektivierung also, hilft ihr gleichzeitig, die Situation zu durchstehen. Vielleicht auch ihrem Mann – „Ich sehe, wie die Kamera seine Fortschritte provoziert“, heißt es irgendwann. Der Film beschreibt den Prozess, dessen Ergebnis er ist. Der Regisseurin ist es gelungen, die privatesten Empfindungen zu objektivieren, also mitteilbar zu machen, ohne sich oder ihren Mann zu verraten.

Das war ein großes Wagnis, denn der Grat ist schmal zwischen Kunst und Ausbeutung, Wahrhaftigkeit und peinlicher Entblößung. Der Film hat auch so eine seltsame Stärke; sich im Kopf des Zuschauer einzunisten und weiterzuentwickeln. Anfangs mochte ich ihn nicht; nach zwei Tagen fand ich ihn großartig und außerdem war es irgendwie witzig, Boris, dem Helden, jeden Morgen beim Frühstück zu begegnen. Die Komik bestand dabei wohl in diesem Gefühl der Unangemessenheit; jemanden zu sehen, von dem man viel weiß, ohne ihn zu kennen.

Das Unangemessene ist das Komische. Überhaupt: Entgegen dem Vorurteil sind viele Dokumentarfilme vor allem auch komisch. Nicht nur die 13 wunderbaren Filme, die unter dem Humoretikett gezeigt wurden. Komisch ist das Spiel, der Fake in dem britischen Reality-TV-Film „The Heist“ von Rudolph Herzog und David Glover, in dem fünf Meisterverbrecher – unter ihnen der pfiffige Arno Funke, der als „Dagobert“ die Herzen der Massen gewann – vor laufenden Kameras verschiedene verbrecherische Aufgaben (Gemäldediebstahl, Entführung eines Rennpferdes) zu lösen versuchen.

Witzig wirkt auch zunächst William Karels Arte-Fake-Doku „Opération Lune“, die beweist, dass die Mondlandung niemals stattgefunden hat, wobei es doch etwas leicht Obszönes hatte, dass Politiker wie Kissinger und Rumsfeld bei dem Spiel mitgemacht haben. Ähnlich funktionierte auch „Czech Dream“ von Vit Klusak und Filip Remunda. In einer Zeit, in der die Werbeplakate für den EU-Beitritt Tschechiens immer debiler wurden, entwarfen sie zusammen mit einer renommierten Werbefirma eine große Kampagne für einen Supermarkt, der reine Kulisse war. Die Werbefirma bemühte sich dabei darum, nichts Falsches zu versprechen. Kernsatz der Kampagne war „Gehen Sie nicht hin!“ Tausende kamen zur Eröffnung und waren dann enttäuscht. Besonders schön und haltlos kitschig war das Lied für den virtuellen Supermarkt. Lustig auch, dass das Projekt von einer echten Supermarktkette gesponsert worden war.

Solange man das Fremde nicht als bedrohlich empfindet, wirkt es oft komisch. Das zeigte sich nicht nur in der Humorreihe, sondern auch in vielen anderen Filmen. Manchmal genügten – in dem Film „Helbra“, der von heroinsüchtigen Provinzjugendlichen handelt – ein paar Sätze auf sachsenanhaltinisch, um den ganzen Saal zum Lachen zu bringen.

Oft mischt sich in das Lachen eine gewisse Tragik, wenn ehemalige Kader in Sandra Prechtels und François Rossiers schönem Erstlingsfilm „ND - Neues Deutschland“ über jetzt und früher reden. Manchmal, wie in Sergej Loznitsas 1996 preisgekröntem Film „Today we are going to build a house“, lacht man auch, weil einem gezeigt wird, wie man mit einem extremen Mangel an Zweckrationalität doch zu einem schönen Ergebnis kommt.

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