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Archiv-Artikel

Die Goldene Göre als Trüffelschwein

Das ganze Land katzenjammert über Pisa, aber gute Beispiele sprießen überall: Der erste Kinderoskar für herausragende Jugendprojekte in Berlin zeigt, auf welch hohem Niveau Schule und Kita gemacht wird. 50.000 Euro Preisgeld für sechs Projekte, die eins gemein haben: Niemand hat sie behindert

von CHRISTIAN FÜLLER

Ästhetisch ist das Projekt misslungen. Die Goldene Göre sieht aus, als habe das Kinderhilfswerk neulich bei einer Berliner Ausstellung eine der grausamen Azteken-Gottheiten stibitzt. Dabei soll die hühnergroße, massive Statuette gar kein Menschenopfer symbolisieren, sondern will etwas ganz anderes sein: der erste deutsche Kinderoskar für herausragende Projekte in der Bildungs- und Kulturarbeit.

Bislang haben die Fundraiser des Deutschen Kinderhilfswerks in fünf verschiedenen Kategorien fünf verschiedene Preise vergeben. Niemand hat das je begriffen, kaum jemand nahm Notiz davon. Damit ist seit Sonntag Schluss. Im Veranstaltungszelt Tipi, einen Steinwurf vom Kanzleramt weg, veranstalteten die sonst eher betulichen Kinderhelfer eine Gala. Die Stars waren dabei nicht etwa Promis wie Show-Moderator Ingo Dubinski oder Schleswig-Holsteins Justizministerin Anne Lütkes (Grüne), sondern die Projekte selbst. Die Preisträger zeigen: Während seit zwei Jahren der große Katzenjammer wegen Pisa regiert, gibt es Schulen und Kitas, die das Bessere längst praktizieren.

Dabei waren es zumeist keine speziell pädagogischen Preise, die das seit 30 Jahren arbeitende Hilfswerk vergibt. Der schönste Spielraum wird da prämiert, die beste Jugendkulturarbeit aus Deutschland, das vorbildliche Beispiel für Kinderpolitik oder ein Aufsehen erregender Medienauftritt. Das Neue: Hinter fünf von sechs Preisträgern standen Schulen oder Kindergärten. Es tut sich was in den Anstalten.

Dass die Bielefelder „Laborschule“ wieder einmal dabei war, überrascht wenig. Sie ist auch gar nicht direkt am ausgezeichneten Radio „Hertz Junior“ beteiligt, sondern ermöglicht es ihren Schülern nur unkompliziert, an dem Campussender mitzutun. Wie andere Schulen. „In der Zusammenarbeit mit der Laborschule ist das nur viel einfacher“, berichtet Studentin Anja Pielsticker, die das Radio-Magazin „Wissenschaft kinderleicht“ organisiert. Denn an der Laborschule gibt es ein eigenes Fach dafür. Es heißt „Lernorte“ und verläuft quer zur starren deutschen Stunden- und Fächertafel. Das ermöglicht, dass die Kids einen festen, aber offenen Raum haben – für ein Projekt ihrer Wahl.

Das Aha-Erlebnis diesmal kam aus der neuen Preiskategorie „Schule“. Die freie Ganztagsschule in Milda, Thüringen, durfte 10.000 Euro mit nach Hause nehmen, um ihre Neugründung aus dem Jahr 1996 zu festigen. Die Mildaer sind eine typische Reformschule – sie haben zwischen straffen Rahmenplänen und Schulstrukturen einen eigenen Weg gefunden. Schulleiter Arno Lange und seine KollegInnen brechen den 45-Minuten-Takt zugunsten größerer Lernprojekte auf, die sie zusammen mit den Kindern finden. Auf dem Lehrplan ganz oben steht in Milda das, was seit Pisa irgendwie alle wichtig nennen, es aber selten zustande bringen: individueller Unterricht. „Dort soll nicht belehrt werden, sondern man geht von der Person des Lernenden aus“, lobte Laudator Dieter Lenzen, Pädagogikprofessor und Präsident der Freien Uni Berlin. Genehmigt hat die Schule der heutige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU).

Als im schleswig-holsteinischen Ort Tarp ein neuer Kindergarten entstand, sagte sich die Kitaleiterin Birgit Stahmer: Die Kinder müssen Tarp erst mal kennen lernen! So banal begann ein Projekt, das jetzt mit viel Geld gefördert wurde. Die kleinsten Tarper erkundeten ihren Ort und machten auch vor dem Amt Oeversee nicht Halt. Dort sitzt die Bürgermeisterin, und die Steppkes malten ihr einen inzwischen druckfähigen bunten Ortsplan für Kinder. Moderator Dubinski sackte den Plan sogleich ein – weil er will, dass auch der Kindergarten seines Sohnes in Mahlsdorf bei Berlin so etwas aufregend Simples entwirft.

Ähnlich einfach waren auch die Anlässe für zwei weitere Preisträger, die Hamburger Musikschule und die Schule für Körperbehinderte in Dessau. Um Jugendliche auch in Problembezirken erreichen zu können, schickt die Musikschule einen Rock-’n’-Roll-Bus namens „Jamliner“ los. Und die Dessauer taten nicht mehr, als ihre Schüler ernst zu nehmen – und das Schulgelände barrierefrei zu gestalten.

Zugegeben, es klingt zu schlicht, um wahr zu sein. Aber so ist es: Gute Bildungsideen gibt es überall – man muss sie bloß nicht behindern, sondern fördern. Zum Beispiel mit einer Goldenen Göre.