: Die Frau und der Favorit
Annette Schavan und Günther Oettinger – wer soll Erwin Teufel beerben? Schavan hat nun gesagt, sie will. Oettinger arbeitet schon lange aufs Amt hin
Die Erklärung war ihr offenbar so wichtig, dass sie sie artig vom Blatt verlas. Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (49) machte gestern im Stuttgarter Landtag ihren Anspruch auf die CDU-Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2006 offiziell: „Ich möchte Ministerpräsidentin werden.“ Freundlich, gelassen, mit leiser Stimme arbeitete sie Einwände und Vorurteile gegen ihre Person akribisch ab.
Vorher aber berichtete Schavan, sie habe bereits zweimal mit ihrem Konkurrenten, dem Landtagsfraktionsvorsitzenden Günther Oettinger (51), geredet. Man sei sich im persönlichen Gespräch einig darüber geworden, dass man „mit gegenseitigen Respekt“ und Fairness gegeneinander antreten wolle. Außerdem hätten sie sich darüber verständigt, dass nach den „quälenden, letzten Wochen“ des parteiinternen Streites um die Nachfolge von Erwin Teufel eine „Befriedung“ der Partei vonnöten sei, die nur durch eine Mitgliederbefragung erreicht werden könne. Das garantiere den „über 80.000“ Menschen an der CDU-Basis immerhin Mitbestimmung und „eine echte Wahl“. Endgültig werde der Landesvorstand auf seiner Tagung am kommenden Samstag über das Procedere entscheiden. Der Meinungsbildungsprozess müsse bis zum Landesparteitag im Februar einvernehmlich abgeschlossen sein.
Damit setzte Schavan deutliche Verhaltensmaßregeln für den Machtkampf, der sich gestern schon auf den Gängen des Regierungsgebäudes abzeichnete. Erste Fraktionsmitglieder kündigten an, sie würden weiter an ihrem Kandidaten Oettinger festhalten und der Mitgliederbefragung entschiedenen Widerstand entgegensetzen. Schavan mahnte kühl: „Die CDU ist stark, wenn sie geschlossen ist, sie ist schwach, wenn sie streitet.“ Und: „Es geht nicht nur um uns beide.“ Über inhaltliche Fragen und „Akzente“ werde sie sich mit Oettinger erst in den kommenden Tagen verständigen müssen. Sie habe allerdings nicht vor, ihre Positionen zu revidieren oder besondere Wahlkampfstrategien auszutüfteln: „Ich bleibe einfach so, wie ich bin.“
Schavan löste sich nach und nach von ihrem vorgegebenen Konzept, beantwortete Fragen immer lockerer und ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht zurückstecken will und für parteiinterne Auseinandersetzungen gewappnet ist: „Ich erwarte kein Silbertablett und keinen roten Teppich.“ Gegenwind scheue sie nicht: „Heute ist ein ganz ungeeigneter Tag, um irgendetwas zu fürchten. Jetzt geht's einfach los!“ Äußerlich bescheiden, wucherte sie dennoch mit ihren Stärken. Dazu gehört vor allem ihr Amt als stellvertretende Vorsitzende der Bundes-CDU. Dort habe sie, ebenso wie im baden-württembergischen Kabinett, gar nicht anders gekonnt, als über ihr Ressort hinaus auch wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenzen zu erwerben. Schließlich habe sie auch an den großen Reformentwürfen der Bundespartei mitgearbeitet. Dass sie keine Einheimische sei, sondern vor neun Jahren von Teufel vom Rhein an den Stuttgarter Nesenbach geholt wurde, ließ sie nicht als Nachteil gelten. Sie sei im Land viel gereist, habe die Stärken und den Reiz der „unterschiedlichen Regionen“ gründlich kennen gelernt und „Wurzeln geschlagen“. Sie kenne die Menschen, nicht nur Eltern, Schüler und Lehrer, sondern sei auch in den Vereinen und Kirchen zu Hause. Im Übrigen, so Schavan, gelte doch bei allen bundesweiten Wahlkämpfen die Bildung als „ein strategisches Herzstück“ der Politik, könne ihr also nicht zum Nachteil gereichen.
Zu ihrer Freundschaft mit der Bundesvorsitzenden Angela Merkel bezog sie klar Position. Sie glaube an deren Kanzlerkandidatur 2006: „Denen ich bisher nahe war, werde ich auch nahe bleiben.“ Aber: „Es gibt Wege, die muss man alleine gehen!“ Dass die katholische, konservative Schavan ledig und kinderlos ist, hatte ihr schon als Ministerkandidatin im niedersächsischen Schattenkabinett von Christian Wulff geschadet. „Landesmutter“ zu sein, sagte sie, sei für sie keine Frage des Familienstandes, sondern „Herzenssache“. Die als gemäßigte Feministin geltende Schavan stellte zum Abschluss klar: „Aber schädlich finde ich es nicht, eine Frau zu sein.“
HEIDE PLATEN
Zeit für Gefühle. Der Fraktionschef der CDU im baden-württembergischen Landtag am Keybord. Günther Oettinger singt: „Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen, steigen dem Gipfelkreuz zu, in unsern Herzen brennt eine Sehnsucht, die lässt uns nimmermehr in Ruh.“ Das ist gerade drei Tage her. Oettinger war am Sonntag Gast in der SWR-Talkrunde „Freunde in der Mäulesmühle“. Am nächsten Tag kündigte Ministerpräsident Erwin Teufel seinen politischen Rücktritt an.
Die Redakteurin der Sendung versichert, dass das Lied nichts mit Oettingers Ambitionen auf Teufels Amt zu tun habe. Oettinger ist einfach ein passionierter Bergsteiger. Nicht die schwäbischen Mittelgebirge. Richtige Berge, Alpen und so. Das passt zu ihm, der so durchtrainiert wirkt wie sein Parteifreund und Ex-Turner Eberhard Ginger.
Seit bald 14 Jahren arbeitet Oettinger daran, Teufel zu beerben. Es ist kein Zufall, dass er mit seinen 51 Jahren jetzt als Favorit dasteht, dass es von Sherpas nur so wimmelt und sich ernst zu nehmende Gegner nur unter den Kabinettsmitgliedern finden lassen, die sich nichts mehr ausrechnen, sollte Oettinger das Rennen machen.
Im Land sehnen sich viel nach einem Macher, einem, der fähig ist Entscheidungen zu fällen und gegen Widerstand durchzusetzen vermag. Teufel will es gemütlich in der Regierung. Streit ist dazu da, geschlichtet zu werden. Bei den vor wenigen Wochen abgeschlossenen Haushaltsberatungen schaffte er es nicht, allen Ministern genügend Geld abzutrotzen, um das Sparziel von einer Milliarde Euro zu erreichen.
Oettinger, glauben seine Freunde, habe entschieden. Schnell. So schnell, wie er spricht. Eine Geschwindigkeit von Dieter-Thomas-Heck’scher Qualität.
Oettinger spielt das Spiel der Macht so sicher wie die Mondscheinsonate auf dem Klavier. Sein Debüt wird auf den 12. Juni 1996 datiert. Erwin Teufel hat gerade die Wahl in Baden-Württemberg gewonnen. Die Fraktion lässt Teufel im ersten Wahlgang durchfallen. Bis heute gilt dies als erster Coup Oettingers, der die Fraktion damals seit einem Jahr führte.
Danach hatte Oettinger so etwas wie einen Freifahrtschein in der Landespolitik. In allen kritischen Fragen behielt Oettinger seitdem das letzte Wort. Als der Verkauf der Energie Baden-Württemberg anstand, wollte Oettinger den Landeseinfluss mit einem eigenen Aufsichtsratsposten sichern. Teufel war dagegen. Oettinger setzte sich durch.
Auch weil seine Sachkenntnis der des Ministerpräsidenten ebenbürtig ist. Fachpolitiker fürchten Oettinger. Ein Aktenfresser, sagen Weggefährten.
Und einer, der es wagt, quer zu denken. Tempolimit auf Autobahnen, schwarz-grüne Koalition, im Zweifel für die Sache statt für den Koalitionspartner – Oetinger hat das alles schon vertreten. Er hätte gut als Rebell durchgehen können. Die Wände seines Jugendzimmers im Stuttgarter Vorort Korntal soll ein Che-Poster geziert haben. Als Chef der Jungen Union in Baden-Württemberg empfahl er Bundeskanzler Helmut Kohl 1988 den Rücktritt – wegen „Führungsschwäche“.
Bei so wenig Respekt vor den Altvorderen der CDU überraschte es nicht, dass er sich Teufel von Jahr zu Jahr offensiver als Kronprinz empfahl. Teufel reagierte nicht, zögerte die Entscheidung hinaus. Er wollte wenn überhaupt Bildungsministerin Annette Schavan in Stellung bringen.
Oettinger handelt am 15. März dieses Jahres. Im regierungseigenen „Staatsanzeiger“ teilt er erstmals öffentlich sein Interesse an Teufels Amt mit. So offen hatte sich bis dahin nie jemand gegen Teufel positioniert. Und jeder wusste: Dies war kein Schnellschuss. Oettinger hat zu einem Zeitpunkt gefeuert, da er sicher sein konnte, dass er das Ziel trifft.
Oettingers Truppen haben alles gut vorbereitet. Auf dem Landesparteitag im Dezember 2003 haben sie Teufel das schlechteste Ergebnis bei einer Wahl zum Landesvorsitzenden beschert. Teufel wusste, bei wem er sich an diesem Tag zu bedanken hatte: bei Günther Oettinger, der ihm mit einem Lächeln und hochrotem Kopf ein übergroßes Geschenkpaket überreichte. Überraschungen sind Oettingers Stärke.
THORSTEN DENKLER