: Ende einer Atomruine
Am Freitag wird das Atomkraftwerk Stade abgeschaltet. Wenn es beim Atomkonsens bleibt, beginnt damit der Ausstieg aus der Kernenergie. Der Rückbau wird sich bis 2015 hinziehen. Zwischenlager vor Ort geplant
von Gernot Knödler
Dass sich die Gegend um das AKW Stade wieder in eine grüne Wiese zurückverwandeln wird, stimmt trotz anders lautender Behauptungen nicht. Denn nach dem Abbau wird auf dem Gelände ein Zwischenlager errichtet mit Fässern voller strahlendem Schlamm und im Kraftwerksbetrieb radioaktiv gewordenen Anlagenteilen. Weil nicht absehbar ist, wann ein Endlager für radioaktiven Müll zur Verfügung stehen wird, kann es sogar sein, dass die Halle dann jahrzehntelang stehen bleibt. Ausgelegt wird die Halle mit Wänden aus 80 Zentimetern Stahlbeton auf 40 Jahre.
Im Zwischenlager schrumpft das riesige Atomkraftwerk zu einem radioaktiven Müllhaufen: Knapp ein Prozent der Kraftwerksmasse, rund 3.000 von fast 400.000 Tonnen, wird als radioaktiver Abfall dort landen. Weitere 550 Tonnen werden kontrolliert verwertet und wiederverwendet, 124.000 Tonnen aus dem nuklearen Bereich des Kraftwerks unter Auflagen freigegeben. 272.000 Tonnen Maschinen, Schrott und Schutt aus dem Turbinenhaus und dem Verwaltungsgebäude werden abgerissen, wie jede normale Fabrik.
Dieser Anteil ist besonders groß, weil es sich bei Stade um einen Druckwasser-Reaktor handelt: Der Dampf, der Turbine und Generator antreibt, wird nicht direkt im Reaktorbehälter erzeugt, sondern über einen Wärmetauscher in einem zweiten Kreislauf. Der Vorteil: Die Turbine bleibt frei von radioaktiver Kontamination. Bei einem Siedewasserreaktor wie Krümmel dagegen, mit nur einem Kreislauf, treibt radioaktiver Dampf aus dem Reaktor die Turbine an.
Der erste Schritt zum Rückbau ist das Herunterfahren. Die kontrollierte Kettenreaktion, bei der eine Kernspaltung zur nächsten führt, wird unterbrochen. Nach zehn Stunden ist Ruhe im Reaktor. Das Kraftwerk tritt in die Nachbetriebsphase ein, die bis Mitte 2005 dauern soll. Während dieser Zeit werden die letzten Brennelemente aus dem Reaktor genommen und zur Wiederaufarbeitung nach La Hague transportiert. Es beginnt der Abbau großer nichtnuklearer Komponenten. Parallel hierzu baut Eon das Zwischenlager für den beim Abriss anfallenden Atommüll.
Sind die Brennelemente weg, „ist der Großteil der Radioaktivität vom Gelände“, wie Atom-Expertin Susanne Ochse von Greenpeace sagt. Die von der Anlage ausgehende Radioaktivität vermindert sich nach Schätzung von Gutachtern um den Faktor 1000. Einen GAU, eine unkontrollierte Kettenreaktion, kann es mangels kritischer Masse nicht mehr geben. Was bleibt, sind radioaktiv verschmutzte (kontaminierte) Rohre, Pumpen und Ventile sowie Anlagenteile, die durch die Kernspaltung im Reaktor selbst radioaktiv geworden sind.
Der Abbau des nuklearen Teils der Anlage beginnt im Sicherheitsbehälter, einer Stahlkugel mit 48 Metern Durchmesser, in der sich der Reaktorbehälter, das Abklingbecken und der Primärkreislauf zur Dampferzeugung befinden. Schrittweise werden nicht mehr benötigte Apparate ausgebaut und vor Ort dekontaminiert oder zerlegt.
Die heikelste Phase wird zwischen den Jahren 2007 und 2012 liegen, in denen die am stärksten strahlenden Bauteile entfernt werden: der stählerne Reaktordruckbehälter und die ihn umgebende Betonabschirmung. Ende 2014 sollen der Sicherheitsbehälter und alle anderen Gebäude, in denen es durch den normalen Betrieb zu radioaktiven Verunreinigungen gekommen ist, soweit leergeräumt und dekontaminiert sein, dass sie abgerissen werden können.
Um die spätere Dekontamination zu erleichtern, strichen die Kraftwerksbauer viele Geräte mit einer porenfüllenden Spezialfarbe an. Diese können einfach abgewaschen oder abgerieben werden, wobei die Putzmittel als strahlender Müll entsorgt werden müssen. Sitzt die radioaktive Verschmutzung in Rissen oder Poren, wird das Material abgeschmirgelt. Beim Abbau des Atomkraftwerks Würgassen beschoss E.on die Bauteile mit auf beinahe Schallgeschwindigkeit beschleunigten Stahlkörnern – ein auf die Spitze getriebenes Sandstrahlverfahren. Die stecknadelkopfgroßen Stahlkörner können anschließend chemisch gereinigt werden. Andere Bauteile werden direkt in chemischen Lösungen gespült.
Selbststrahlende Anlagenteile werden mit Hilfe von Roboterarmen zersägt, zerschnitten und zerschweißt. Bei stark radioaktiven Komponenten wie dem Reaktorbehälter mit seinen fast 20 Zentimeter dicken Wänden geschieht das unter Wasser. Beim Abbau anderer AKWs sind dafür neue Schneideverfahren entwickelt worden, etwa mit einem Wasserstrahl, der, mit Granatsand versetzt, unter hohem Druck dicke Stahlwände zerteilt.