Unruhe um den Ruhigen

In der gerade befriedeten Berliner CDU regt sich Kritik an Parteichef Joachim Zeller: Der sei in der Öffentlichkeit zu wenig präsent und überlasse die Führung zur sehr Generalsekretär Lawrentz

„Es ist schwierig, mit Themen durchzudringen“

von STEFAN ALBERTI

Auf Podien ist Joachim Zeller nicht zu übersehen. Zu wenig stromlinienförmig kommt er daher mit buschigem, dunklem Bart und strubbeligem Haar. „Rasputin“ nennen sie ihn deshalb in der CDU schon mal. Zeller ist der Mann, der seine Partei nach Grabenkämpfen einen und für die nächste Wahl fit machen soll. Doch nach einem halben Jahr unter seinem Vorsitz fragen sich Parteifreunde, ob Zeller die Union wirklich führt.

Denn so unübersehbar er bei derartigen Anlässen ist und so sehr er intern rackert, so wenig ist er mit inhaltlichen Anstößen in der breiteren Öffentlichkeit aufgefallen. Er ist wie ein Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Christoph Stölzl. Der kümmerte sich zwar wenig um die Partei, war aber mit seinen Ideen von mehr bürgerschaftlichem Engagement immer wieder in den Zeitungen präsent.

Dort stand Zeller jüngst nur groß, als sein Bürgermeisterjob in Mitte mit dem Parteivorsitz kollidierte: bei der Debatte um den geplanten Umzug des Bundesnachrichtendienstes. Zeller sprach sich gegen eine „Trutzburg“ auf dem Gelände des früheren Stadions der Weltjugend aus und erweckte damit den Eindruck: Wir wollen den BND nicht bei uns. Damit vergrätzte er Parteifreunde, „und nicht nur ein bisschen“, sagt ein Funktionär aus Mitte. Morgen trifft sich die CDU Mitte zum Kreisparteitag. Ein Antrag zielt darauf, die Haltung der Union zu klären. Die solle sich deutlicher positionieren als Partei der Ansiedlung, ob von Firmen oder Institutionen, so der Tenor.

Zeller hat in der BND-Debatte das gemacht, was ihn als Mensch auszeichnet: Er stand zu der schon mehrere Jahre alten Beschlusslage im Bezirk, die für die Stadiongegend „Wohnen ohne Auto“ vorsieht. Das brachte Lob von den Grünen, aber Kopfschütteln in der CDU. Undiplomatisch sei Zeller vorgegangen. Natürlich lasse sich über den Standort reden, aber prinzipiell müsse man den BND begrüßen, hieß es auch im Abgeordnetenhaus von Fraktionschef Nicolas Zimmer.

Das Lob der Grünen geht über den Fall BND hinaus. Die sagten schon im Mai, dass sich Landesvorsitz und Bürgermeisterjob auf Dauer zeitlich nicht vereinbaren lassen. „Wir haben befürchtet, dass Zeller den Bezirk vernachlässigen würde. Das hat sich nicht bestätigt“, sagt Frank Bertermann, der grüne Fraktionschef in Mitte. Das ließe sich auf den ersten Blick als überparteiliche Akzeptanz verkaufen. Ohnehin regiert Zeller in Mitte dank der Stimmen von Grünen und PDS. Dumm nur, dass Bertermanns Worte im Umkehrschluss bedeuten: Wenn die Bürgermeisterei nicht leidet, kann zwangsläufig wenig Zeit für den Landesvorsitz bleiben.

Zellers Parteifreunde scheuen sich, diese Kritik explizit zu äußern. Das macht sich nicht gut nach den erst einige Monate zurückliegenden Lagerkämpfen. Noch Ende April stand die Union führungslos da. Der viel kritisierte Frank Steffel gab den Fraktionsvorsitz ab, Stölzl, erst 2002 gewählt, kandidierte nicht wieder als Landeschef. Um beide Posten bewarb sich vergeblich Exfinanzsenator Peter Kurth, der nach heftigen Debatten äußerst knapp unterlag. Seither ist Ruhe, vor allem in der Fraktion herrscht ein besseres Klima als unter Steffel.

Doch ganz schweigen mögen die Kritiker trotz des auch von ihnen geschätzten Friedens nicht. „Zeller ist medienöffentlich zu wenig präsent, und das meinen auch viele, die ihn ihm Mai unterstützt haben“, sagt ein Kreisvorsitzender. „So kann man eine Partei nicht führen“, sagt ein anderer führender Christdemokrat. Man wolle noch ein bisschen abwarten, aber dann müsse sich etwas tun. Auch aus der Fraktionsführung ist Ähnliches zu hören.

Geführt werde die Partei faktisch von einem anderen: von Generalsekretär Gerhard Lawrentz, einem der letzten alten Westberliner Strippenzieher in der CDU. Als Notlösung war er im Mai gewählt worden, nachdem Zellers eigentlicher Kandidat zweimal durchgefallen war.

Lawrentz schaute in diesen Tagen beim Friedrichshainer CDU-Ortsverband Oberbaum vorbei – in der Diaspora, wie er sagt: Auf müde 13,8 Prozent sackte die Union 2001 in diesem Bezirk ab. Lawrentz, 58, ein schlanker, großer Mann mit kahler Stirn und goldgerandeter Brille, ist kein Mann von falscher Bescheidenheit. „Ich glaube, ich kenne das Geschäft ausgiebig“, sagt er, als er an der Basis zur Lage der Partei referiert.

Baustadtrat in Tempelhof-Schöneberg ist er, Generalsekretär war er schon 1996 bis 1998, genauso wie Abgeordneter, Fraktionschef im Bezirk und Vizebürgermeister. Er ist der Mann, der aus all diesen Jahren auch noch im letzten der rund hundert Ortsverbände irgendeinen Gewährsmann hat. Das bringt Macht, und das gibt Selbstbewusstsein. Etwa vor den Friedrichshainern gönnerhaft zu sagen, Fraktionschef Zimmer – der ist zwar erst 33, aber schon seit 1998 Abgeordneter, nachfolgend Chefhaushälter und Fraktionsgeschäftsführer – werde im parlamentarischen Betrieb noch Furore machen. Und hinzuzufügen: „Natürlich muss er auch als Persönlichkeit noch ein bisschen reifen.“ Man kann nicht nur an diesem Abend das Gefühl bekommen, dass da einer meint, die Weisheit für sich gepachtet zu haben, anders als der eher zurückhaltende Zeller.

Sprecher von Partei und Fraktion mühen sich, den Eindruck mangelnder Präsenz und Führung Zellers zu widerlegen. Man habe doch jüngst eine zumindest parteiintern viel beachtete Themenkonferenz veranstaltet, heißt es. „Schon, aber das war Lawrentz’ Idee“, sagen die Kritiker, und der Generalsekretär bestätigt, dass er federführend war.

Zeller selbst will noch keine direkte Kritik von Parteifreunden gehört haben. In den zurückliegenden Monaten sei es vorrangig darum gegangen, parteiintern Arbeit zu leisten, durch die Ortsverbände zu tingeln, Stimmungen einzufangen. Zudem konzentriere sich die landespolitische Berichterstattung auf das Abgeordnetenhaus. „Da ist es schwierig, als Landesvorsitzender mit Themen durchzudringen.“ Das sei ihm bewusst, daran will er arbeiten.

Zeller-Verteidiger verweisen auch gerne auf die guten Umfragewerte des Parteichefs: In der Beliebtheitsskala der Spitzenpolitiker steht Zeller derzeit auf Platz zwei, zwischenzeitlich verdrängte er sogar Klaus Wowereit von der Spitze. Für Parteifreunde ist das kein Argument: „Das hilft uns nichts, wenn ihn zugleich nur 40 Prozent kennen. Außerdem: Ihn beurteilen auch viele in der PDS positiv. Aber die würden die Union nie wählen.“ Auch nicht, wenn der Parteichef wie Rasputin daherkommt.