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Archiv-Artikel

Gefallener Hüter ohne Tor

Bei Manchester United in Ungnade gefallen, hat Frankreichs Lieblingskeeper Fabien Barthez derzeit wenig zu halten. Nur im Nationalteam kommt der 32-Jährige noch regelmäßig zum Einsatz

aus Paris RALF ITZEL

Es gibt ein Foto, dass Fabien Barthez auf dem Gipfel seines Schaffens zeigt. Der Torwart überfliegt bei einer Parade in großer Höhe den stürzenden Brasilianer Ronaldo. Waagerecht liegt er in der Luft, ein Vogelmensch, losgelöst, schwerelos. Die preisgekrönte Aufnahme entstand am 12. Juli 1998 beim WM-Finale in Paris.

Landen wird Barthez erst knapp fünf Jahre später. Ausgerechnet Ronaldo holt ihn zurück auf die Erde. Am 23. April dieses Jahres erzielt der Stürmer im Viertelfinale der Champions League einen Hattrick für Real Madrid in Manchester gegen United und Barthez. Schüsse wie Peitschenhiebe, aber der Tormann sieht nicht chancenlos aus. Alex Ferguson verzeiht ihm nicht. Den Trainer nervt sein abenteuerlicher Stil schon seit geraumer Zeit. Die häufigen Reisen nach Frankreich ebenfalls. Englands Revolverblätter hatten sich längst auf Barthez eingeschossen und „Fabulous Fab“ nach ein paar burlesken Gegentoren zum Fliegenfänger degradiert. Seine Romanzen, unter anderem mit dem Model Linda Evangelista, einst als Eroberungen eines Teufelskerls bewundert, werden nun gegen ihn verwandt. Fortan sitzt er auf der Ersatzbank, bald sogar auf der Tribüne.

Seit sieben Monaten hat Barthez für seinen Klub keine Minute zwischen den Pfosten gestanden. Schon im Sommer wollten ihn die Engländer loswerden, aber es fand sich kein zahlungskräftiger Abnehmer. Vor zwei Wochen untersagte die Fifa einen Wechsel auf Leihbasis zu Olympique Marseille, weil Transfers nur zu bestimmten Zeiten möglich sind. Barthez, noch vor drei Jahren zum besten Keeper der Welt gekürt, ist zum Hüter ohne Tor verkommen.

Nur eine Mannschaft baut noch auf ihn: der amtierende Europameister Frankreich. Am Samstag in Gelsenkirchen bekommt Barthez beim Vergleich mit der DFB-Elf für anderthalb Stunden wieder einen Arbeitsplatz. „Je weniger er spielt, desto besser wird er“, scherzt Trainer Jacques Santini. Über die eigene Maxime, nur Akteure zu nominieren, die im Klub Höchstleistung bringen, setzt er sich in diesem Falle großzügig hinweg. Die beiden kennen und mögen sich, seit Fabien 17 ist.

Barthez ist so etwas wie der Talisman des französischen Fußballs. 1993 trägt er zum ersten und bislang einzigen Triumph in der Champions League bei. Wegen einer Verletzung rückt er als 21-jähriger Grünschnabel in die Elf von Olympique Marseille und hält im Finale von München gegen den AC Mailand die 1:0-Führung fest. Einer der Mannschaftskameraden ist übrigens Rudi Völler. Und hat es etwa kein Glück gebracht, dass ihm Kapitän Blanc vor jeder Partie bei der WM im eigenen Land den Glatzkopf küsste? Einen wie ihn lieben sie in Frankreich. Ein Luftikus, der selbst in dramatischen Momenten lachen kann, ein Gegenmodell zum verbissenen Oliver Kahn. Einer, der natürlich ist, spontan, authentisch, ein anhänglicher, verrückter Kerl.

Seine fußballerische Technik würde jeden Feldspieler ehren. Wer ein Gruppentraining beobachtet, vergisst schon mal, dass er der Torwart ist. Der Südfranzose ist ja auch nicht besonders groß gewachsen (1,83 m) oder gut gebaut. Eher ein Tänzer als einer, der seinen Körper als Panzer nutzt. Als Keeper wirkt er mit nichts beeindruckend, ist aber in allem sehr gut. Mit Frankreichs Auswahl sind kaum Patzer erinnerlich, fast nur Heldentaten. Am WM-Debakel in Korea ist er schuldlos. Bei der WM 98 kassiert er nur zwei Treffer, einen davon per Elfmeter. Und auch aus der Qualifikation für die kommende EM stehen nur zwei Gegentore zu Buche. So einen lässt man nicht einfach fallen, auch wenn Santini warnt: „Wenn sich die Situation im Winter nicht regelt, müsste man nachdenken.“

Im Moment hält sich Barthez in Marseille fit und baut darauf, dass der Leihhandel im Januar vonstatten geht. Wie nahe ihm seine erste große sportliche Krise geht, weiß wohl nur der Vater, die wichtigste Vertrauensperson. Vielleicht noch Freundin Amélie, mit der er seit dem Sommer einen kleinen Sohn, Lenny, hat. Gegenüber Journalisten kommentiert Barthez die Lage gelassen: „Eine Karriere hat Höhen und Tiefen. Ich habe keinerlei Gefühl von Ungerechtigkeit oder Frustration. Wäre mir das vor zehn Jahren passiert, hätte ich vielleicht anders reagiert. Aber ich weiß, dass sich mit der Zeit alles regelt und ich einfach weiter arbeiten muss.“ Mit 32 Jahren heben andere Torleute ja erst richtig ab. Er fliegt schon seit langem. Das jetzt nimmt er als kurze Zwischenlandung.