: Als die Ideale noch geholfen haben
Auch ein Beitrag zu „Unseren Besten“: Der Bundespräsident kritisiert den aktuellen Starkult und verteidigt den Schiller-Kult von einst. Ausgerechnet
Hier ‘ne Rede, da ein Grußwort, Bundespräsidenten sind auch nicht zu beneiden. Beim 100. Jubiläum des Schiller-Nationalmuseums in Marbach hat Johannes Rau nun aber mal wieder eine Rede gehalten, die tatsächlich mediale Aufmerksamkeit generierte – wozu entschieden beitrug, dass er das Klassikerthema über Bande spielte.
Unser Staatsoberhaupt sprach nämlich auch über aktuelle Kultfiguren. Die Nachrichtenagenturen meldeten: „Bundespräsident kritisiert Rummel um Pop- und Medienstars“. Wer mag, kann darin ein Paradebeispiel dafür sehen, womit man heute in die Medien kommt: mit pauschalisierender Medienkritik. Sollte das deutsche Fernsehen demnächst auf die Idee kommen, die Show „Deutschland sucht die Super-Klischees“ zu senden, hätten die fernsehkritischen Klischees gewiss allerbeste Chancen, ganz weit vorne zu landen.
Auf der Internet-Adresse www.bundespraesident.de kann nun ein jeder die ganze Rede nachlesen; man wird bestätigt finden, dass das, was darin zu Schiller selbst gesagt wird, viel interessanter ist, als das, was die Agenturen transportierten. Im Gegensatz zum heute Kultigen will dem Bundespräsidenten nämlich der Schiller-Kult vergangener Zeiten im schönsten Licht erscheinen. Damals, so Rau, sei ein „wirkliches Ideal“ verehrt worden und weiter: „Mag sein, dass [...] es falsche Instrumentalisierungen gegeben hat, mag sein, dass uns manche dieser Ideale heute nicht mehr so viel sagen: Der Umstand, dass hier ein Ideal verehrt wurde, das das eigene Leben überstieg und ihm so zur Orientierung wurde, das macht den eigentlichen und den legitimen Kern einer Verehrung aus, wie man sie in der Schiller-Verehrung finden kann.“
Ein deutsches Staatsoberhaupt ruft dazu auf, ein „Ideal“ zu verehren, das „das eigene Leben übersteigt“. Wenn man das ernst nehmen würde, müsste man Skandal schreien. Außerdem: Der arme Schiller! Nur nimmt man das nicht ernst, weil es sich hier schnell erkennbar um eine typische Sonntagsrede mit erbaulichen Klassikerversatzstücken handelt. Registrieren sollte man aber schon, wie umstandslos so etwas selbst einem Liberalen wie Rau durchgeht, wenn er damit nur Kritik an vermeintlich illegitimer Starverehrung verbinden kann. Die Wendung von den falschen Instrumentalisierungen deutet übrigens an, dass der Schiller-Kult während des deutschen Kaiserreichs integraler Bestandtteil des Obrigkeitsstaats war und auch während der Nazizeit sehr gepflegt wurde. Die Orientierung, die er gegeben hat, hatte also ihre Schattenseiten. Auf sie geht Rau nun gar nicht ein. Sie würden auch nur stören bei der kultkritischen Bildungshuberei.
Man mag ja von den heutigen Kultstars halten, was man will, aber zur Kritik an ihnen ist beileibe nicht jedes Mittel recht, schon gar keine naive Klassikerverehrung. Übrigens gibt es noch eine hübsche Pointe. Das Niveau, auf dem sich Rau hier mit Schiller beschäftigt, ist in etwa so hoch wie das, das bei der Fernsehsendung „Unsere Besten“ gepflegt wurde. Könnte also glatt kultig werden, diese Schiller-Rede. DIRK KNIPPHALS