DAS STEUERSYSTEM MUSS EINFACHER WERDEN – ABER GERECHT BLEIBEN : Triumph der Steuermüllentsorger
Mitten in der Krise ist festzuhalten: Es gibt Wachstumsbranchen in Deutschland. Eine Sonderkonjunkturzone sind die Steuerberater. 1992 wurden erst knapp 50.000 gezählt, Anfang 2003 gab es schon mehr als 67.000 Experten für die legalen Steuertricks. Auch die Fachbuchverlage können nicht klagen: Die Hälfte der weltweiten Steuerliteratur erscheint – auf Deutsch. Denn kein Steuersystem ist so chaotisch wie unseres.
Die Müllhalde Steuerrecht muss entrümpelt werden. Dies ist so offensichtlich, dass ein neues Spiel ohne Grenzen zu beobachten ist: Wer ist der radikalste Steuermüllentsorger? Seit gestern geht die Meister-Proper-Trophäe des Steuerrechts an den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof. Er fordert, alle Einkommensarten mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent zu belegen.
Das ist einfach – aber es einfach nicht einzusehen, dass ein Multimillionär genauso viel Steuern auf einen Euro zahlen soll wie seine mittleren Angestellten. Soziale Gerechtigkeit, sowieso ein ramponiertes Gut in Deutschland, könnten wir ebenfalls vollends auf die Müllhalde schmeißen. Zusammen mit den Steuerfachbüchern. Diesen Einwand kennen die radikalen Steuervereinfacher natürlich. Also zitieren sie gern einen dieser vielen Fälle, wo jemand 500.000 Euro verdient und sich trotzdem so arm rechnet, dass er kaum einen Cent an den Staat abführen muss.
So etwas gibt es. Dennoch ist die gängige Conclusio falsch, dass man die Spitzensteuersätze ruhig senken kann, weil die Reichen sowieso keine Steuern zahlen. Dies ist schlicht Unfug: Bisher finanzieren die 10 Prozent höchsten Einkommen 50 Prozent der Einkommensteuer. Genau deswegen ist es für Finanzminister Eichel (SPD) ja so schwer, das Vorziehen seiner Steuerreform zu finanzieren, die unter anderem den Spitzensteuersatz senkt.
Nicht jedes transparente Steuersystem ist gerecht. Das gilt auch für die Modelle von FDP, CDU und Grünen, die ähnlich argumentieren wie Kirchhof. Aber es könnte ironischerweise sein, dass dies endlich einfach auffällt, wenn das Steuerrecht vereinfacht ist. ULRIKE HERRMANN