Hier spricht die „FAS“ aus Berlin

Dies ist Prenzlauer Berg und nicht München oder Münster: Der Berlin-Reader „Hier spricht Berlin – Geschichten aus einer barbarischen Stadt“

Nachdem die Süddeutsche Zeitung Ende der Neunzigerjahre ihre Berlin-Seite eingeführt hatte, wunderte man sich doch sehr darüber, wie schnell die Autoren und Autorinnen dieser Seite heimisch geworden waren: „Wir Berliner“ hieß es dort vom ersten Erscheinungstag an, „wir hier in Berlin“. Waren die nicht gerade erst aus München gekommen? Unsereins, schon viel länger in Berlin als die SZ, sich hier wohl fühlend, aber doch nie als Berliner, fand das seinerzeit scheinheilig und anbiedernd und ahnte: Das wird nichts, und das schert erst recht den Icke-Berliner aus Neukölln oder Pankow keinen Deut.

Ungleich konsequenter und begrüßenswerter wirkt deshalb der Versuch von fünf mitunter ehemaligen Redakteuren und Mitarbeitern der Frankfurter Sonntagszeitung, fremd zu bleiben in Berlin, sich bewusst nicht einzulassen auf die Stadt, sich nicht mit ihren Verschrobenheiten versöhnen zu wollen und trotzdem ein Buch über Berlin zu schreiben: „Hier spricht Berlin – Geschichten aus einer barbarischen Stadt“. Das Berlin, das hier spricht, ist das Berlin des FASlers, der in Prenzlauer Berg wohnt, gern auch in einem Dachgeschoss, der mit der Tram zu seinem Arbeitsplatz nach Mitte fährt und dabei seine Berlin-Eindrücke sammelt, privat aber gern mal mit dem „Angeberauto“ unterwegs ist, „schwarz und schnell und böse und Cabrio“, (dafür einen feuchten Schmatz für den Herrn Diez auf seine hoffentlich mit einer Mach-III-Klinge kahl rasierten Wange!), und der vor allem in den üblichen Lokalitäten wie dem Strandbad Mitte, dem Einstein und dem 103 herumsitzt.

Die Sicht ist so natürlich eine beschränkte, die Erkenntnisse keineswegs originelle. Doch soll hier ja nicht der Schrebergärtner aus dem Priesterweg sprechen, sondern, wie es besänftigend im Nachwort heißt, „Berlin in seiner Funktion als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland“ und dabei das „Geschepper“ um die Berliner Republik noch mal so richtig als solches zum Klingen gebracht werden. Umso erstaunlicher, dass den Herren Seidl, Richter, Diez und Minkmar sowie der Quotenfrau Zielke trotzdem noch Schuhmacher, Trambahnfahrer, Fleischverkäufer, Trashhändler oder andere „Autochthone“ (o je, o je, wat ist denn der Herr Seidl für einer?) in ihrem Journalisten-Mitte-Raumschiff begegnen. Und sie bei diesen Begegnungen feststellen – Überraschung, Überraschung! –, dass Berlin eine einzige Dienstleistungswüste ist und die Kontrolleure aussehen wie die letzten Penner und die Tram nur im Schneckentempo durch die Straßen zuckelt und ein einziges Sandwich von der Friedrichstraße die schönste Frühlingsstimmung verderben kann und überhaupt die Taxifahrer ganz schöne Heinis sind. Es fehlen eigentlich nur noch die Backwaren, die, wer weiß das nicht?, in Berlin schlechter sind als irgendwo sonst auf der Welt.

Sie tun einem dann ein bisschen Leid, die armen FASler, dieses böse Berlin!, diese bösen Berliner, diese Volltrottel und Schlimmfinger! Nur gut, dass die fünf von der FAS meist rechtzeitig merken, wie sehr ihnen auch die Starbuckler, Strandbadler und Servicesimulanten auf den Geist gehen, die Möchtegerns, Stars in spe und „Hedonisten aus dem Yuppie-Segment“ mit ihren komischen Lädchen, wo man bewusst einkaufen und noch bewusster Kaffee trinken kann.

So borniert, so gerecht, so unaufregend also diese Geschichtchen. Vielleicht aber hätte der Herr Diez doch mal in die Rockfabrik Halford, ins Sexton oder den Blauen Affen gehen sollen. Vielleicht hätte der Herr Seidl, der gern mal „Pharmaschinken“ versteht, wenn von „Farmerschinken“ die Rede ist, aber immer nur Parmaschinken denkt, mal samstagabends das Café Prenzlau besuchen sollen, Faschos gucken. Wäre nicht mal weit gewesen, das Café Prenzlau liegt am Kollwitzplatz. Vielleicht hätten sie überhaupt allesamt mal einen Betriebsausflug nach Spandau, Reinickendorf oder Lichtenrade machen sollen, vielleicht wäre dann Aufregenderes passiert. Sind doch Journalisten! Sind die gar nicht neugierig? Allerdings, das muss man zugeben, wären solche Exkursionen nicht wirklich authentisch. Das wäre ja Berlin und nicht „Berlin“.

GERRIT BARTELS

„Hier spricht Berlin – Geschichten aus einer barbarischen Stadt“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 224 Seiten, 8,90 €