Hegemonie, vergiss sie nie

Ein Imperium kann sich nicht auf Macht, sondern nur auf Ideen und Ideologien gründen: Michael Walzer empfiehlt heutigen und künftigen US-Präsidenten, Gramsci zu lesen

Spötter sprechen schon vom kurzlebigsten Imperium aller Zeiten. Ausgerufen vor gerade einmal einem Jahr, geht das Empire Amerika, das schon mächtiger als das alte Rom geheißen wurde, im mesopotamischen Morast auch schon wieder unter. Wie kann von einem Imperium gesprochen werden, fragt nun der amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer im linksliberalen Intelligenzblatt Dissent, wenn mit den USA alliierte Regierungen – wie die der Türkei – den Imperatoren die kalte Schulter zeigen, „wenn die ganze Welt gegen uns“ ist und wenn selbst die Aussichten im Irak „nicht besonders gut sind, und das nach einem durchschlagenden Sieg in einem ,imperialen‘ Krieg“?

Walzer wäre aber nicht Walzer, würde er sich nicht mit einer akademischen Ernsthaftigkeit herumquälen, um die gegenwärtige Situation auf den Begriff zu bringen. Die Vokabel, und dies ist für einen liberalen Pragmatiker wie Walzer überraschend, entlehnt er ausgerechnet bei kommunistischen Theoretikern – und zwar bei zwei lebenden und einem toten. So hält er zunächst das Verständnis von „Empire“ in der Variante von Toni Negri und Michael Hardt hoch, das heute nichts von all dem bedeute, was man sich traditionell darunter vorstellte: Das „Empire“ besetzt keine Länder; es hat kein Zentrum (nicht einmal in Washington); es begründet sich nicht auf Satellitenregierungen, die an der kurzen Leine gehalten werden. Es ist eine vollkommen postmoderne Gestalt.

Weil aber die Macht sich doch nicht vollends in Machtknoten von Machtverhältnissen auflöst und den USA zweifelsohne eine herausragende Rolle im imperialen Netzwerk zukommt, greift Walzer auf einen anderen Italiener zurück: Man möge, empfiehlt er, den Begriff des „Hegemonen“ im Sinn Antonio Gramscis verstehen. Das Imperium braucht die Zustimmung des Anderen. Es kann nicht auf Macht gründen, sondern nur auf Ideen und Ideologien. Es kann nur im Konsens herrschen. Gramscis „Hegemonieformel“, die für den italienischen Theoretiker für das Innere eines entwickelten, komplexen Gemeinwesens galt, lautete: „Hegemonie = Zivilgesellschaft, gepanzert mit Zwang.“ Walzer wendet sie nun auf die internationale Arena an unter den Bedingungen postkolonialer, transnationaler Regime. Da gilt plötzlich ebenso, dass der Hegemon umso mächtiger sein wird, je verborgener seine zentrale Rolle ist, je belastbarer die Fäden und Transmissionsriemen, mit deren Hilfe er den Konsens der Geführten organisiert.

Das wird, weil der Mensch aus Schaden klug wird, auch die Bush-Regierung begreifen müssen. Da trifft es sich gewissermaßen, dass Gramsci seinen Marxismus ausdrücklich als „Philosophie der Praxis“ verstand. Vor allem aber hofft Walzer, dass die Demokratische Partei wieder zum Agenten einer solchen hegemonialen Strategie wird. Dazu, so Walzer in einer Art skeptischer Zuversicht, „sollte sie doch fähig sein, auch wenn ihre Führer gegenwärtig nicht gerade den Anschein erwecken, dass sie zu irgendetwas fähig sind“.

Nun, sie haben ja noch ein bisschen Zeit, zu lernen, gemäß dem Motto: Freundliche Hegemonen dieser Welt, leset, studieret die Schriften des Genossen Antonio Gramsci! ROBERT MISIK

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