Ernst, aber stabil

Arafats Gesundheitszustand wird als sehr ernst beschrieben. Sein Sicherheitsberater dementiert aber Lebensgefahr

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Jassir Arafats Gesundheitszustand ist kritisch, aber stabil. So hieß es gestern Nachmittag in den Berichten aus der Muqataa, dem Amtssitz des Palästinenserpräsidenten in Ramallah. Nicht klar war dagegen, ob Arafat in das Krankenhaus der Stadt oder in eine ausländische Klinik zur Behandlung gebracht wird. Am Mittwochabend hatte der PLO-Chef offenbar für kurze Zeit das Bewusstsein verloren, gestern früh jedoch wieder am Morgengebet teilgenommen. Er sei extrem schwach gewesen, hieß es.

Arafats in Paris lebende Frau Suha, die seit vier Jahren nicht mehr im Westjordanland war, machte sich auf den Weg zu ihrem Mann. Bereits am Mittwoch hatten mehrere ausländische Ärzteteams Ramallah erreicht.

Premierminister Ahmed Kurei bat in einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Ariel Scharon um eine Aufhebung des seit über zwei Jahren über Arafat verhängten Hausarrestes. Scharon kam dem Gesuch nach.

Der PLO-Chef erkrankte vor zwei Wochen – „an einer Grippe“, wie zunächst aus der Muqataa verlautete. Die Gerüchte reichen von einer schweren Halsentzündung und Magenkrämpfen über Gallensteine bis hin zu einer Krebserkrankung. Die israelische Vermutung, Arafat leide an Magenkrebs, wurde unterdessen von den untersuchenden Ärzten abgestritten. Aufgrund der bisherigen Bluttests und Gewebeuntersuchungen, die in der Muqataa vorgenommen wurden, sei ein bösartiges Geschwür im Verdauungstrakt auszuschließen.

Die Palästinenserbehörden versuchten, ein „low profile“ zu bewahren. Die Bevölkerung reagierte dementsprechend gelassen. Von den üblichen effizient inszenierten Solidaritätskundgebungen vor Arafats Quartier gab es gestern keine Spur. Es bestehe „keine Lebensgefahr für Arafat“, betonte der Nationale Sicherheitsberater Dschibril Radschub gegenüber dem Sender „Stimme Israels“. Arafats Gesundheitszustand sei stabil, er leide weder an Krebs noch an einer Herzschwäche. „Viel zu viele Gerüchte auch von einer angeblichen Ohnmacht“ grassierten vor allem in Israel. Die bisherigen Untersuchungen deuteten auf Gallensteine. „Wir erwarten heute ein Ärzteteam aus Ägypten“, das über eine Operation des Palästinenserpräsidenten entscheiden werde.

Der jordanische Neurologe Dr. Ashraf al-Kurdi, der Arafat seit 25 Jahren behandelt, erklärte gegenüber der Ostjerusalemer Tageszeitung Al-Quds, dass er „auf dringende Anfrage der Berater Arafats“ nach Ramallah reise, um „dem medizinischen Team bei der Diagnose behilflich zu sein“.

Die israelische Regierung reagierte überraschend zurückhaltend, wenn man berücksichtigt, dass Israels Premier Ariel Scharon in der Vergangenheit wiederholt „Maßnahmen gegen Arafat“ ankündigte, darunter auch dessen Exekution. Einreisegenehmigungen für Fachärzte und für die Ehefrau Soha wurden umgehend erteilt und auch Arafat selbst könne in jedes auch ausländische Krankenhaus seiner Wahl reisen, ohne das zuvor angedrohte Rückkehrverbot fürchten zu müssen.

In dem ersten direkten Telefonat mit dem palästinensischen Premierminister Kurei ließ sich Scharon gestern früh detailliert über den Zustand Arafats und die bisher getroffenen Maßnahmen informieren. Ein Ableben seines langjährigen Erzfeindes käme Scharon derzeit – ganz unabhängig von einem möglichen Chaos in den besetzten Gebieten – aus zwei zentralen Gründen wenig zupass. Zum einen stünde die Frage der Beerdigung im Raum. Arafat hatte wiederholt den Wunsch geäußert, auf dem Tempelberg in Jerusalem bestattet zu werden, was Israel indes ausschließt. Das „worst case scenario“ der Militärs wäre eine Demonstration zigtausender Palästinenser, die, dem Sarg ihres Präsidenten folgend, den Zugang nach Jerusalem zu erzwingen suchen.

Zum zweiten würde der Tod Arafats Scharon die Grundlage seiner Verweigerung rauben, mit den Palästinensern zu verhandeln. Jerusalem lehnte den Dialog ab, „solange Arafat die Zügel in der Hand hält“. Vize-Premierminister Ehud Olmert (Likud) beeilte sich bereits mit der Aussage, dass „der Zustand Arafats nichts an Israels politischem Plan ändert“. Olmert spielt damit auf den erst diese Woche vom Parlament in Jerusalem verabschiedeten Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen an, der unilateral von Israel umgesetzt werden soll. Israels Opposition, die den Plan letztendlich unterstützte, hatte hingegen stets zu einem bilateralen Prozess aufgerufen.