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Archiv-Artikel

Die Rückkehr der Ideologen

Thomas Greven skizziert die Anatomie der Republikanischen Partei in den USA. Dabei zeigt er knapp und klar, wie sie im politischen Diskurs der USA seit 30 Jahren die Themen diktiert

Die Wahlkämpfe und der Parteienwettbewerb sind „amerikanisiert“, die ideologischen Unterschiede zwischen den Kandidaten schwinden, Inszenierung und Image treten an die Stelle der inhaltlichen Substanz. Diese Kritik ist beliebt. Merkwürdig nur: Während die Ideologien in den europäischen Demokratien tatsächlich im Rückzug begriffen sind, lässt sich in den USA seit geraumer Zeit das Gegenteil beobachten – eine Reideologisierung von Politik und Gesellschaft. Demokraten und Republikaner stehen sich mittlerweile fast unversöhnlich gegenüber. Die politische Polarisierung setzt sich bei den Wählern fort. Sie lassen sich entlang soziokultureller Merkmale in ihrem Stimmverhalten eindeutig zuordnen. Kurz gesagt: Keine westliche Demokratie ist derzeit weniger „amerikanisiert“ als die US-amerikanische.

Nirgendwo lässt sich der dramatische Wandel so gut beleuchten wie an der Republikanischen Partei, deren Geschichte und Gegenwart der Politikwissenschaftler Thomas Greven jetzt knapp und klar darstellt. Der Autor hängt seine Analyse an der Frage auf, ob sich die Grand Old Party (GOP) in den USA auf dem Weg zur strukturellen Mehrheitsfähigkeit befindet, so wie es der republikanische Wahlkampfberater Kevin Phillips Ende der Sechzigerjahre vorausgesagt hatte.

Das ist heute offenbar nicht der Fall, trotz der starken Position der GOP auf allen Ebenen des politischen Systems. Greven favorisiert hier die These der „doppelten Mehrheiten“ des US-Politologen Byron Shafer, der das Land dauerhaft in zwei annähernd gleich große Lager gespalten sieht. Da die Wahlbevölkerung in den sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen links von den Republikanern und in den wertebezogenen Lebensstilfragen rechts von den Demokraten stehe, hängt es von der Themenkonjunktur ab, welche Partei ihre Wähler besser mobilisieren kann. Im Übrigen kommt das gewaltentrennende Regierungssystem der USA der Polarisierung entgegen, weil es die Aufteilung der Regierungsmacht zwischen Präsident und Parlament ermöglicht.

Das eigentliche Problem der US-Politik erkennt Greven nicht in der Reideologisierung, die Tragödie liege „vielmehr in der parteiübergreifenden Einigkeit in vielen zentralen Politikbereichen, die einen großen Teil der amerikanischen Bevölkerung ausschließt“. Jenseits der Polarisierung sei das Land seit den 1970er-Jahren insgesamt nach rechts gerückt: Politische Debatten fänden heute weitgehend auf dem „diskursiven Terrain der Republikaner“ statt. Die Folge: Im Zuge der verschärften globalen Standortkonkurrenz sei das Ziel des sozialen Ausgleichs zwischen Gewinnern und Verlieren des Strukturwandels immer mehr zurückgedrängt worden. Die USA befänden sich auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert.

Um zu verstehen, warum erst die Republikaner und dann das ganze Land so weit nach rechts gerückt sind, muss man weit in die Geschichte zurückgehen. Es gehört zu den großen Ironien der amerikanischen Geschichte, dass die Partei des Nordstaatlers Abraham Lincoln in den ehemaligen Südstaaten heute ihre stärksten Bastionen hat. Die Republikaner waren ja für die Abschaffung der Sklaverei eingetreten und führten gegen den abtrünnigen Süden deshalb einen blutigen Bürgerkrieg. Die Nachwirkungen dieses Konflikts prägten das Parteiensystem bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts und bescherten den Demokraten im Solid South komfortable Mehrheiten.

Seit John F. Kennedy bewegte sich die Partei des New Deal jedoch von den ökonomischen Themen weg, auf denen Franklin D. Roosevelt seine Wählerkoalition in den Dreißigerjahren aufgebaut hatte, und hin zu den Problemen der Rassenintegration und sozialen Gleichstellung. Durch diese Linkswende hinterließ sie im Süden ein elektorales Vakuum, in das die Republikanische Partei hineinstoßen konnte. In den soziokulturellen Fragen bis dahin noch weitgehend liberal eingestellt, orientierte sich diese nun folgerichtig nach rechts, um die dort traditionell konservativ eingestellten Wähler der Demokraten zu vereinnahmen.

In der Folge sollte sich dieser Rechtsruck durch mehrere Entwicklungen noch verstärken. Zum einen kam es als Reaktion auf die kulturellen Liberalisierungsprozesse der Sechzigerjahre zu einer Gegenbewegung in Gestalt der Neuen Christlichen Rechten, die sich für die Bewahrung der tradierten Normen des Familienlebens einsetzte. Dieser Bewegung gelang es, ihre Bastionen innerhalb der Republikanischen Partei nach und nach auszubauen.

Zweitens waren die wirtschaftsliberalen Positionen der Republikaner, die weitreichende Steuerentlastungen und eine Rückführung des Wohlfahrtsstaats propagierten, seit den Achtzigerjahren zunehmend en vogue, da sie dem allgemeinen Trend eines pragmatischen Laisser-faire entsprachen, der sich unter den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen abzeichnete. Und drittens mündete die Kritik an Richard Nixon und Gerald Ford, die die Entspannungspolitik mit verantworteten, in eine neue Doktrin der militärischen Stärke.

Die strategische Herausforderung der Republikaner besteht darin, die verschiedenen programmatischen Positionen auszubalancieren, die ja zum Teil in offenkundigem Widerspruch zueinander stehen. Nur so können sie eine möglichst umfassende Wählerkoalition bilden. Überhaupt sollte man hinter der ideologischen Standfestigkeit den entschiedenen Machtwillen der Partei nicht unterschätzen, der bisweilen zynische Züge annimmt.

So nutzt etwa die Schuldenpolitik, die Bush jr. wie einst Reagan durch Steuersenkungen und hohe Militärausgaben verursacht, nicht nur der eigenen Klientel. Mit ihr sollen die Demokraten zugleich gehindert werden, Ausgabenprogramme zugunsten der eigenen Wählerklientel zu tätigen. Wie die Siege von Bill Clinton 1992 und 1996 gezeigt haben, ist das noch keine Garantie für den Wahlerfolg. Es zeigt aber, dass auch demokratische Präsidenten und Kongressmehrheiten heute im Rahmen einer Agenda handeln müssen, die im Wesentlichen die Handschrift der Republikaner trägt. FRANK DECKER

Thomas Greven: „Die Republikaner. Anatomie einer amerikanischen Partei“. C.H. Beck, München 2004, 216 Seiten, 14,90 Euro