: Steine des Anstoßes aus dem Weg geräumt
In Wilmersdorf wurden „Stolpersteine“ aus dem Gehweg entfernt. Die Gedenktäfelchen für ein deportiertes jüdisches Ehepaar waren erst am Tag zuvor verlegt worden. Der Staatsschutz vermutet einen rechtsradikalen Hintergrund
Stolpern kann man nur optisch über sie: Die „Stolpersteine“, von dem Kölner Künstler Gunter Demnig gestaltete und auf Betonwürfel montierte Messingplatten, erinnern an Juden, die von den Nazis deportiert wurden. Auch in Berlin werden sie seit einigen Jahren vor den ehemaligen Wohnhäusern der Ermordeten im Gehwegpflaster verlegt. Eine schlichte Gravur bezeugt die Lebensdaten der einstigen Anwohner. Erst am vergangenen Freitag wurden im Roten Rathaus rund fünfzig neue Steine eingeweiht. Wie gestern bekannt wurde, waren da die beiden Täfelchen für Else und Alfred Werthahn in der Württembergischen Straße in Wilmersdorf schon verschwunden.
Als Wolfgang Knoll einen Tag nach ihrer Verlegung in die Württembergische Straße kam, fand er nur noch Löcher vor, die von einem Mieter des Hauses notdürftig mit Steinen gefüllt worden waren. Der Rentner beteiligt sich ehrenamtlich an der Aufarbeitung jüdischer Geschichte in Charlottenburg-Wilmersdorf. Im Landesarchiv Potsdam hatte er die Geschichte der Werthahns recherchiert. Die Stolpersteine wurden dann auf Initiative einer in Frankreich lebenden Verwandten verlegt. Das Verschwinden der Steine war für sie ein Schock. Gegenüber Knoll sprach sie von einer „zweiten Deportation“ des Ehepaars.
Auf die Steine musste der offenkundig politisch motivierte Dieb zufällig gestoßen sein. Weder eine Gedenkfeier noch eine Ankündigung hatte es in diesem Zusammenhang gegeben. „Allein die Aufschrift ‚Ermordet in Auschwitz‘ reicht offenbar, den Unwillen anderer hervorzurufen“, sagt Knoll. „Sehr wahrscheinlich wohnt der Täter in der Nähe und fühlte sich irgendwie durch die Steine gestört.“ Erstaunlich findet Knoll, dass in der benachbarten Pariser Straße vier neue Stolpersteine noch unversehrt daliegen.
Ein ähnlicher Fall ereignete sich bereits Anfang des Jahres in Schöneberg: Zwei Steine waren hier nur drei Stunden nach ihrer Verlegung entfernt und ins Gebüsch geworfen worden. In Halle (Saale) rissen Unbekannte im Mai acht Stolpersteine aus Gehwegen. Laut Mitteldeutscher Zeitung schloss die Polizei einen politischen Tathintergrund nicht aus. Die Steine hat der Künstler inzwischen ersetzt.
„Mit so etwas muss man rechnen“, sagt Demnig, der mit seiner Langzeitaktion die Erinnerung an Holocaust-Opfer stärker in den Alltag der Menschen rücken will. Von rund 4.000 Steinen in ganz Deutschland seien bisher zwanzig beschmiert oder beschädigt worden. „Es hält sich in Grenzen“, findet Demnig.
Für das kommende Jahr gibt es allein im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf dreißig Anmeldungen für neue Gedenksteine. Um die beiden verschwundenen Steine zu ersetzen, will das Charlottenburger Bündnis Demokratie Jetzt gegen Rechtsextremismus eine Spendenaktion ankurbeln. Der Schaden beträgt 190 Euro.
Derweil hat sich der polizeiliche Staatsschutz in den Fall eingeschaltet: Auch wenn es noch keine Hinweise auf die Täter gibt, müsse von einer rechtsgerichteten Motivation ausgegangen werden. CHRISTINE KEILHOLZ