: Alles in der Gegenwart
Die Früchte der Zärtlichkeit und des Zorns und die Unmöglichkeit von Retro-Moden: Die diesjährige Viennale widmete ihre Retrospektive dem Filmemacherpaar Danièle Huillet und Jean-Marie Straub
VON CRISTINA NORD
Wer sich aktuelle deutsche Filme anschaut, muss den Eindruck gewinnen, Geschichte habe sich im Mainstream-Kino häuslich eingerichtet. „Der Untergang“ macht aus Hitler eine Filmfigur mit Zitterhand und Sprachproblem und pocht dabei naiv auf das „So ist’s gewesen“. „Der neunte Tag“ – in anderthalb Wochen in den Kinos – inszeniert das Rededuell zwischen einem Gestapo-Mann und einem Priester, der für eine kurze Zeitspanne aus dem KZ Dachau ins heimische Luxemburg geschickt wird. Ein neuer Film über Sophie Scholl befindet sich in der Postproduktion, und wie es in einer NS-Eliteschule zuging, wird demnächst „Napola“ illustrieren.
Dass sich die Retrospektive der gerade zu Ende gegangenen Viennale dem Werk von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub widmete, nimmt sich vor diesem Hintergrund wie ein scharfer Gegenkommentar aus. Denn nichts läge dem französischen Filmemacherpaar ferner, als Geschichte im Spielfilmformat aufzuheben. Seit dem Debüt „Machorka-Muff“ (1962) hat keine ihrer Arbeiten den Schutz der in sich geschlossenen Dramaturgie gesucht. Wo immer sich die beiden mit dem Nationalsozialismus und dem italienischen Faschismus befassen, wird deutlich, was sie vom Wunsch nach einem Schlussstrich halten: nichts. „Im Straub’schen System ist eine ‚Retro-Mode‘ einfach unmöglich“, hat der französische Filmkritiker Serge Daney einmal notiert. „Alles liegt in der Gegenwart.“
So birgt die „Die Früchte des Zorns und der Zärtlichkeit“ betitelte Werkschau des Wiener Filmfestivals einen doppelten Affront: den der Nichtversöhnung („Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ hieß der zweite Film des Paares) und den der Kargheit. Straub und Huillet haben eine Filmästhetik entwickelt, die dem Zuschauer viel abverlangt. Lange dauern die Einstellungen; wenn die Kamera sich bewegt, dann tut sie es mit Bedacht, im langsamen Panoramaschwenk über sizilianische Landschaften zum Beispiel. Selten ist eine Figur in Aktion zu sehen, meist ein Sprecher beziehungsweise dessen Zuhörer. Wenn ein Akteur eben noch auf dem Boden kauerte und sich nun aufrichtet, ändert sich der Bildausschnitt dennoch nicht, so dass für eine Weile nur die Beine bis zur Höhe des Beckens zu sehen sind. Der Text – stamme er nun von Hölderlin („Der Tod des Empedokles“, 1984, oder „Schwarze Sünde“, 1988), von Kafka („Klassenverhältnisse“, 1983) oder von dem italienischen Kommunisten Franco Fortini („Fortini/Cani“, 1976) – nimmt eine zentrale Stellung ein, ohne dass sich die Regisseure der Hilfe eines professionellen Sprechers versicherten. Im Gegenteil: Bei Straub und Huillet ist das Sprechen von Zäsuren unterbrochen, arhythmisch; die dialektalen Eigenheiten der Darsteller bleiben erhalten, ihre Sprachfehler auch, der Verzicht auf Nachsynchronisation tut ein Übriges, um den Zugang zum Sinn der Rede zu erschweren. Zumal sich Straub und Huillet nicht eben leichte Texte aussuchen.
So stammt ihre „Antigone“ (1991) von Sophokles; von Hölderlin wurde die Tragödie übersetzt, von Brecht bearbeitet und von ihnen im Amphitheater des sizilianischen Segesta verfilmt. Vier Zeitschichten überlagern sich, und alle bleiben sichtbar. Der Mythos ist bei Straub und Huillet dementsprechend keine dunkel raunende Macht, sondern etwas, woran sich Verhältnisse durchexerzieren lassen: das Verhältnis von Gott und Mensch, das der Menschen untereinander, das von Besitzenden und Besitzlosen. In „Dalla nube alla resistenza“ („Von der Wolke zum Widerstand“, 1978) unterhält sich Nephele, die Wolke, mit dem Sterblichen Ixion. Nephele sitzt in einem Baum, Ixion schaut zu ihr auf – eine Blickachse, die häufig vorkommt bei Straub und Huillet. Sie reden darüber, wie der gewaltsame, von den Göttern erwirkte Tod eines Menschen sich in der Landschaft materialisiert: in einem Bergbach oder einem Felsen. Die Natur bezeugt das Verbrechen, sie hält es gegenwärtig.
Dass die Zeitschichten sichtbar bleiben, gilt auch für die Adaption des Corneille-Dramas „Othon“. Es geht auf den römischen Autor Tacitus zurück; stammt aus dem Jahre 1664 und lässt sich als impliziter Kommentar zu den Zuständen am Hofe Ludwig XIV. begreifen: ein Reigen der Macht, bei dem die Liebe, die Intrigen und die Eifersucht einander so in Schach halten, dass niemand – weder der Kaiser, noch die Titelfigur Othon, noch dessen Kontrahent Piso – zum Ziel kommt.
Unter dem Titel „Die Augen wollen sich nicht zu jeder Zeit schließen oder Vielleicht eines Tages wird Rom sich erlauben seinerseits zu wählen“ haben Straub und Huillet das Stück 1969 auf dem Monte Palatino in Rom verfilmt. Die Figuren stehen in antikisierenden Kostümen zwischen Sträuchern und Steinen, von der Tonspur brummt der Großstadtverkehr, wenn die Kamera zum Panoramaschwenk anhebt, sind in der Ferne breite Avenuen zu sehen. Am Anfang vertieft sie sich in eine Höhle, das Bild wird dementsprechend schwarz; doch wird hier nicht das dunkle Raunen der Vergangenheit beschworen, sondern ein konkreter Ort präsentiert: Diese Höhle diente den Partisanen während des Krieges als Waffenversteck.