Jazzkolumne : Laut spielen, sehr laut
Aus kreativem Handeln ergibt sich eine politische Haltung: Altes und Neues vom New Yorker Free-Jazz-Bassisten William Parker
Das Jahr begann mit einer seltsamen Meldung. In der New Yorker Wochenzeitung Village Voice stand, dass William Parkers „Bob’s Pink Cadillac“ (www.eremite.com) zu den besten aktuellen CDs weit und breit gehöre. Dieses Zwei-CD-Set nahm der Bassist mit seinem Clarinet Trio auf, zu dem der Klarinettist Perry Robinson gehört, sowie: Walter Perkins, Schlagzeug, unvergessen von der Roland-Kirk-Platte „I Talk With The Spirits“.
Nie wieder in der Geschichte des Jazz fanden sich soziale Entwicklungen, Visionen, Gegenentwürfe und Befindlichkeiten, dazu ein Interesse an anderen Religionen, Kulturen und Musiken so unmittelbar in den Plattentiteln gespiegelt wie in jenen Jahren. „I Talk With The Spirits“ war 1964 die Message des Multiinstrumentalisten Roland Kirk, der sich später „Rahsaan“ taufte. Kirk wähnte sich hier inspiriert vom Gesang eines Kirchenchores.
Im Frühjahr 1998 war es ein kurzes Piano-Intro, eine fünfzigminütige Ensemble-Improvisation und ein auf dreizehn Minuten Länge gestrecktes einfaches, einfach schönes Thema, „Another Angel Goes Home“, das sich hinter dem Titel der William Parker CD „In Order To Survive“ (FMP 105) verbarg, das er beim „30. Workshop Freie Musik“ in Berlin aufführte. Peter Kowald, der Bassist aus Wuppertal, hatte die Liner Notes geschrieben, William Parker, der Bassist aus New York, die Musik. „In Order To Survive“ symbolisiere New York, schrieb der vor einem Jahr verstorbene Kowald damals. Kowald hatte Parker vor 25 Jahren getroffen, ihn in dem Haus am Tompkins Square kennen gelernt, wo auch der mit William nicht verwandte Altsaxofonist Charlie Parker einmal gelebt hatte.
In der Lower East Side Manhattans gibt es immer noch Künstler, für die sich aus ihrem kreativen Handeln eine politische Haltung ergibt, auch wenn sich dies materiell nicht auszahlt. „In Order To Survive“ thematisierte somit auch Not, Durststrecken, mangelnden Respekt. Kowald erzählte damals von einer langen gemeinsamen Autofahrt, die Parker und ihn von Berlin zum Amsterdamer Flughafen führte. Das war 1983, und der „wunderbar verrückte“ Künstler A. R. Penck hatte den beiden gerade 50.000 Mark zugesagt, um ein Musikereignis ihrer Wahl in New York zu organisieren. Ein Jahr später fand das Sound Unity Festival dann in einer kleinen Basketball-Halle statt, die gesamte Lower-East-Side-Szene war gekommen, 119 Musiker spielten über fünf Tage verteilt.
Kowald lebte zu jener Zeit in New York, seine Wohnung war das organisatorische Hauptquartier des Festivals. Er hatte die Wohnung über der Parkers gemietet, die wiederum über einer Fischküche gelegen war, deren Abzugsrohr unmittelbar vor seinem Wohnzimmerfenster endete. Wenn Parker heute von dieser Zeit erzählt, spürt man Kontinuität und Aufbruch. Der 51-jährige New Yorker spricht von Widerstand und der Notwendigkeit politischer Organisierung und zieht Linien vom Sound Unity zum Vision Festival, das gerade am vergangenen Wochenende wieder in Downtown New York stattfand.
Parker kann laut spielen, sehr laut. Er hat große Konzerte auf Instrumenten gegeben, die als heruntergekommen und eigentlich schon unspielbar galten. In den Achtzigern war er der Bassist in den Gruppen Cecil Taylors, und er ist auch heute noch für das Free Thing, auch wenn diesem Genre der Bezug zu außermusikalischen Gegebenheiten abhanden gekommen ist. Heute ist es weder selbstverständlich noch wird erwartet, dass diese Musik aufgeführt wird, weil die Musiker eine Message haben könnten. Parkers New-York-Welt ist diesbezüglich eine große Ausnahme.
„Parker predigt den Gospel“, sagen der Pianist Matthew Shipp und der hyperaktive DJ Spooky, mit denen er gerade beim Berliner JazzFest gespielt hat, und meinen: Er klagt das politische Engagement des zeitgenössischen Künstlers ein. Da er auf kleinen Labels wie Eremite und Ayler veröffentlicht, hat man es nicht immer leicht, an seine Platten zu kommen. Immerhin sind ein Dutzend CDs, die Parker jüngst für das Thirsty Ear Label aufgenommen hat, jetzt auch hier erhältlich. Die schönste Perle in dieser Soundlawine ist das Album „Scrapbook“, aufgenommen mit Schlagzeuger Hamid Drake und Billy Bang, Geige.
Parkers Trio erzeugt seine Klänge durch den kreativen Gebrauch unterschiedlicher Methoden. Dazu gehören die als Lines bezeichneten notierten Melodiemotive und metrisch notierten Rhythmusfragmente ebenso wie spontane Variationen, um das vorgegebene Material zu erweitern: Schichtungen von Klang und Stille, die in der Musikersprache Call and Response genannte Klangorganisation als Dialog, Rede und Widerspruch, sowie der gleichzeitige Gebrauch unterschiedlicher Tonarten und Rhythmen, das Unisono-Spiel und die als Vamps bezeichneten Wiederholungen rhythmischer Motive. Methoden eben.
Und wenn da mal was schief geht? Das Kollektiv ins Stocken kommt? Parker hat Geschichten bereit, für jedes Stück eine Story, die er den Musikern vor der Probe erzählt. Die wunderschöne „Scrapbook“-Komposition „Singing Spirits“ könnte auch singende Violine heißen, so Parker. Sie ist nicht nur seinem Freund, dem Geiger Billy Bang, gewidmet, sondern auch dem Bassisten Charles Mingus, der es schaffte, im New Thing die Erinnerung an die wahnsinnigen Gospelsounds seiner Kindheit mit der visionären Trotzigkeit des antirassistischen Künstlers zu koppeln.
CHRISTIAN BROECKING