: So selten wie ein Gouvernator
aus South San Francisco MICHAEL STRECK
Das Telefon klingelt, Sekretärinnen hämmern an die Tür, verweisen auf Termine, drängeln. Pedro Gonzalez ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen. In schwarzem Anzug und Hemd strahlt er die Geduld eines Pastors bei der Beichte aus. Die Hände ruhen ineinander gefaltet auf seinem Schoß. Wenn er mit seinen Mitarbeitern reinstes spanisch spricht, vergisst man für einen Augenblick, in den USA zu sein. Seine Residenz im Stil einer spanischen Villa könnte genauso gut in Acapulco stehen. Nur die US-Flagge hinterm Schreibtisch ist eindeutig. Der Mann mit dem Aussehen eines mexikanischen Staatsdieners ist Bürgermeister von South San Francisco – einer der wenigen Latinos in diesem Amt im Bundesstaat Kalifornien, wo ein Drittel der 34 Millionen Einwohner „Hispanics“ sind.
Aus den hohen Fenstern in seinem Büro kann man die hellbraunen, kahlen Berge von San Bruno sehen, an deren Fuß die Stadt mit 60.000 Einwohnern im Schatten ihrer großen Schwester liegt. 20.000 Latinos leben hier. Spanisch ist so selbstverständlich wie der Satz „Proud to be American“. Selbst die Kellner im China-Restaurant beherrschen die Standard-Vokabeln. „Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur Zweisprachigkeit“, sagt Gonzalez. „Viele Latinos werden so nicht ermuntert, Englisch zu lernen. Ihnen bleibt der Zugang zu Ausbildung und guten Jobs versperrt.“ Der 64-Jährige weiß, wovon er spricht.
1954, er war 15 Jahre alt, ging er mit seinen Eltern aus Mexiko nach Los Angeles. Er wollte unbedingt zur US-Army, scheiterte jedoch bei der Aufnahmeprüfung für die Militärakademie. Sein Englisch war zu schlecht. Stattdessen schuftete er in Schlachthäusern und auf dem Bau. Abends büffelte er englische Grammatik. Schließlich wurde er ein erfolgreicher Kleinunternehmer und ging mit 50 Jahren noch mal auf die Universität, um Politikwissenschaft zu studieren. Sein Bürgermeisteramt ist für ihn eine Art Dank an die neue Heimat. „Ich wollte etwas zurückgeben, da ich von diesem Land so viel bekommen habe“, sagt er, ein Satz, den auch der Einwanderer Arnold Schwarzenegger in seinem Wahlkampf wie ein Mantra wiederholte. Der Unterschied zwischen beiden könnte kaum größer sein. Pedro Gonzalez ist der Gegenentwurf zum schrillen Politikzirkus in Kalifornien. Wer mit ihm spricht, stellt sich unweigerlich vor, wie er neben „Arnold“ auf einem Podium sitzt, ruhig und sachlich auf Fragen antwortet. Nie würde er jemandem ins Wort fallen.
Von draußen dringen Flugzeuggeräusche durch die Wände. Der internationale Flughafen von San Francisco befindet sich nur wenige Meilen entfernt. Er bildet die nördliche Grenze zum Sillicon Valley, wo nach dem Ende des Internetbooms viele Firmen Pleite gingen. Überall hängen „Zu verkaufen“-Schilder. Die ersten Opfer der Wirtschaftsflaute waren die ungelernten meist illegalen Latinos ohne Arbeitsgenehmigung. Im „Country Cottage Cafe“, drei Straßenblöcke entfernt von Pedro Gonzalez’ Rathaus, klagt Besitzer Manuel Meléndez über die hohe Arbeitslosigkeit im Ort. Mit seiner preiswerten Speisekarte lockte der 1970 aus Ecuador eingewanderte Mann lange Zeit eine Latino-Stammkundschaft. Heute sitzt ein Gast zum Mittag am Tisch. „Vor fünf Jahren war hier um diese Zeit die Hölle los“, sagt er. Dann erzählt er von steigender Kriminalität, der niedergedrückten Stimmung, von „Arnold“, dem Hoffnungsträger, und seinem hervorragenden Verhältnis zu Gonzalez. „Den kennt hier jeder. Der ist ein prima Kerl.“
Bevor Gonzalez Bürgermeister wurde, kümmerte er sich als Direktor einer Immobilien-Gesellschaft um Erhalt und Sanierung der historischen Altstadt von South San Francisco. Eine lebenswerte Stadt mit bezahlbaren Wohnungen ist sein wichtigstes Anliegen, angesichts der ausufernden kalifornischen Suburbia-Landschaften ein geradezu utopisches Ziel. Stolz erzählt er von einem Gesetz, das unter seiner Regie zustande kam und allen Immobilienfirmen vorschreibt, 20 Prozent der neu zu bauenden Wohnungen für Familien mit geringem Einkommen bereitzustellen. Auch das Projekt eines Englisch-Lernzentrums für Immigranten kam von ihm.
Für seine Mühen als Bürgermeister zahlt ihm die Stadt 500 Dollar im Monat als eine Art Aufwandsentschädigung, im Grunde ist es ein Ehrenamt. Wer dies bekleiden will, muss sich um einen Sitz im fünfköpfigen „City Council“ bewerben, der den Bürgermeister bestimmt. Im Wahlkampf helfen kein Ortsverein und keine Parteikasse. Es zählt allein Eigeninitiative. Wochenlang klopfte er an Haustüren, sammelte Spenden und verschickte 20.000 Briefe an alle Latinos der Stadt.
Heute leitet er Ratsversammlungen, an denen oftmals viele Einwanderer teilnehmen, die kein Englisch verstehen. Doch der Mexikaner Gonzalez versteht sie. „Ich kann sie ermuntern, ihre Zurückhaltung aufzugeben und ihre Meinung zu sagen.“ Wenn er so etwas wie eine Mission verspürt, dann die, die politische Mitbestimmung der Latinos zu vergrößern. Dass einer von ihnen eine Stadt regiert, ist fast so selten wie die Wahl eines Hollywoodstars zum Gouverneur. Nur rund ein Dutzend Bürgermeister sind lateinamerikanischer Abstammung. Das Interesse der Einwanderer an Politik ist gering. Die Mehrheit ist im vergangenen Jahrzehnt gekommen und kämpft ums Überleben. Sie arbeiten als Tagelöhner auf Erdbeerfeldern, in Autowaschanlagen, Restaurantküchen und Baustellen, überall dort, wo sie kein Englisch benötigen. Nicht nur mangelnde Bildung und Sprachkenntnis hindern sie an politischer Teilhabe, sagt Gonzalez, sondern auch ein aus den Herkunftsländern mitgebrachtes tiefes Misstrauen gegenüber Politikern und Parteien. „In Mexiko gelten alle Politiker als korrupt, und Wähler werden nach wie vor eingeschüchtert. Wir müssen sie überzeugen, dass Politik funktioniert.“
Die Abwahl des unbeliebten Gouverneurs Gray Davis ist für ihn ein Lehrstück in Demokratie. Dass Politiker durch diese Form der direkten kalifornischen Bürgerdemokratie gestürzt werden können, fasziniert Gonzalez. Nun hofft er, dass Schwarzenegger vor allem die Staatsfinanzen saniert, denn die eigene Stadtkasse wird überwiegend von der kalifornischen Regierung gefüllt. Da diese gegenwärtig mit Milliarden verschuldet ist, muss auch er seine Ausgaben zusammenstreichen. Das bedeutet: weniger Geld für Schulen, Polizei und Straßenbau. Lehrer rufen mittlerweile zum freiwilligen Arbeitseinsatz auf, wenn es um die Renovierung von Klassenzimmern geht, und Highways sind marode wie ostdeutsche Autobahnenpisten zu Honeckers Zeiten. Doch Gonzalez tut, was ein Bürgermeister auch in mageren Jahren tun muss. Er schwärmt von seiner Stadt und ihren Vorzügen. Etwa von der klaren, sauberen Luft und dem Wind vom nahen Pazifik. In Los Angeles, wo er vorher lebte, hing oft wochenlang eine beißende Smogglocke über der Stadt. Keinen blauen Himmel mehr zu sehen kann für den sonnenverwöhnten Hochland-Mexikaner deprimierend genug sein. Schlimmer aber war, dass seine Tochter an Asthma leidet. 1968, er verbrachte mit seiner Frau die Flitterwochen in San Francisco, verliebten sie sich in die Hippie-Stadt und entschieden umzuziehen.
In der Demokraten-Festung lebt Gonzalez nun in einer Art inneren Immigration. Er ist Republikaner. Ein moderater Konservativer, wie er sagt. „Vielleicht liegt es daran, dass ich Geschäftsmann bin, mich immer selbst durchgeboxt habe und nie erwartete, dass der Staat mir hilft.“ Die meisten Latinos fühlen sich den Demokraten verbunden. Für sie ist es die Partei der kleinen Leute, die den Gewerkschaften nahe steht und sich auf die Seite der Einwanderer schlägt. Kurz vor seiner Abwahl beschloss der demokratische Gouverneur Gray Davis ein Gesetz, dass selbst illegale Einwanderer einen Führerschein beantragen dürfen, ein Schritt, der einer Legalisierung ihres Aufenthaltes gleichkommt, und ein Thema, das die Gemüter in Kalifornien erhitzt. Bürgermeister Gonzalez hält die Entscheidung für falsch, auch wenn es die Straßen wahrscheinlicher sicherer macht. „Wir laden damit zur illegalen Immigration ein.“
Er, der selbst so sehr von der offenen Einwanderungsmentalität der USA profitiert hat, meint nun, dass das Boot voll ist. „Unsere Gesellschaft und Infrastruktur kann nicht mehr Schritt halten mit dem Zustrom neuer Einwanderer.“ In den 90ern, als die Wirtschaft brummte, schien die Integrationsfähigkeit Kaliforniens unbegrenzt. In zehn Jahren wanderten vier Millionen Menschen ein. Nun fordert Gonzalez, dass die Zuwanderung gedrosselt und illegale Einwanderung erschwert wird. „Wir brauchen einfach eine Verschnaufpause.“