piwik no script img

Archiv-Artikel

Prunkräume zu Pennerlagern

Träume und Reiseerinnerungen, Märchen und Architekturfantasien: Isa Melsheimers Installation „Raum“ in der Galerie Barbara Wien erzählt Geschichten aus einem Universum, in dem Waren, Menschen und Wohnorte global verschoben werden

von OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Sie blüht nur einmal in ihrem Leben, dann stirbt sie. Wenn man die eigentlich anspruchslose Agave ausgiebig düngt und ihr genügend Sonneneinstrahlung zukommen lässt, dann treibt die beliebte Topf- und Tequilapflanze nicht nur Blüten und Mescal hervor, sondern läutet auch ihren vorzeitigen Tod ein. Galt Mescal den Azteken als Getränk der Götter, das nur rituell getrunken werden durfte, erscheint die zählebige Agave in Isa Melsheimers jüngster Einzelausstellung bei der Galerie Barbara Wien selbst als Bestandteil eines stillen Opferrituals, wobei Heiliges und Profanes sich ironisch durchdringen. In eine winzige leere Bühne eingelassen, hinter der sich die Stufen einer miniaturisierten Zuschauerempore erstrecken, ragen ihre Blätter aus weiß beschichteten Spanplatten – ganz so, als sollten wir Zeuge ihrer theatralischen Bemühungen werden, sich in dieser fremden Umgebung zu behaupten.

Die Tribüne, die den Auftakt zu Melsheimers Installation bildet und an ein merkwürdiges Ikea-Möbelstück erinnert, deutet so etwas wie ein Schauspiel an. Allerdings ist es hier der Raum, der sich verkleidet und darstellt. Entsprechend findet sich gegenüber der Tribüne ein Patchwork-Vorhang, der in einzelnen Bahnen von der Decke fällt und einen Teil des Zimmers abtrennt. Dahinter schimmert das auf Betonstelzen gestützte Modell eines verfallenen tschechischen Hotels auf. Melsheimer hat es im Maßstab verkleinert, Balkone und Mauern der Front abgerissen und es mit derselben surrealen Grausamkeit ausgestattet, die sie bereits der entwurzelten Pflanze zuteil werden ließ. Im Seitenflügel, den Melsheimer mit Stuck und einer fantastischen Wald-Tapete ausgestattet hat, mutiert der Prunkraum ins provisorische Pennerlager, darunter stapeln sich Stoffmuster wie geologische Schichten.

„Raum“, so der Titel der Installation, setzt sich hier wie ein Patchwork aus unterschiedlichen Wahrnehmungsmodellen wie Träumen, Reiseerinnerungen, Märchen und Architekturfantasien zusammen. Inspiriert von einem Arbeitsaufenthalt in Rotterdam erzählen das geisterhafte Hotel wie die auf den Vorhangstoff gestickten und genähten Motive, Geschichten aus einem Universum, in dem Waren, Menschen und Wohnorte global verschoben werden können. „Rotterdam mit seinem riesigen Hafen ist eine faszinierende Stadt“, merkt Melsheimer an, „und zugleich ist es auf eine merkwürdige Weise eine Nichtstadt, die man überhaupt nicht greifen kann, eine Mixtur von Baustilen der ganzen Welt.“

Flüchtlingsboote, ein schwimmendes Hotel im Pagodenstil, riesige Lastkähne und Frachter: Immer wieder taucht in Melsheimers Installation die Form des Containers auf, als schematisierte Figur, als Ladung von Schiffen, als Baracke, als von Bombern abgeworfenes Care-Paket. Der Container fungiert zugleich als Variable und Maßeinheit, als soziale und kulturelle Denkfigur. Dazu assoziieren sich die konzentrischen Diagramme oder rätselhafte Motive wie Eulen und Explosionen, die schon in früheren Arbeiten der 1969 geborenen Künstlerin erschienen.

Präsentierte der Amerikaner Tom Sachs vor wenigen Monaten im Deutsche Guggenheim das in sich geschlossene Modell einer von Globalisierung und Konsum geprägten Metropolis als Abenteuerspielplatz für coole Jungs, auf dem Autorennen gefahren und Burger gegrillt werden, verweigert sich Melsheimer eindeutigen Modellen oder Bedeutungen. „Raum“ entwickelt stattdessen ein benutzerfeindliches nomadisches Gedankenbiotop, dessen fragiles Gleichgewicht ständig im Umbruch ist. Dort wo Fäden, Fassaden und Geschichten gekappt, vernäht und verschraubt werden, könnten sie genauso gut weiter verlaufen, in einem alternativen Entwurf münden. Die Verhandlung von Vernetzung, Raum und Architektur geht bei Melsheimer in eine Verhandlung zeitgenössischen Denkens über, die sich aus kollektiven Bildern wie der eigenen Autobiografie speist. Die schrullige Präzision, mit der Isa Melsheimer dabei stilistische und konzeptionelle Grenzen sprengt, macht diese Ausstellung zum wirklichen Ereignis.

Bis 31. Januar, Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–18 Uhr, Galerie Barbara Wien, Linienstraße 158, Mitte