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Archiv-Artikel

Englisch ist kein Patient

Ob in Spanien oder Frankreich: Austauschstudenten sprechen oft nur englisch. Auch an Berlins Schulen regiert die Anglophilie, klagt ein Experte. Die Sprachmesse ExpoLingua zeigt, wie man Auslandssemester nutzt, um auch die Landessprache zu lernen

von JOHANNES GERNERT

Ganz schön flotte Sprüche hat die Alte drauf, muss sich die englische Studentin Wendy denken, als Xaviers französische Mutter in der WG anruft und fragt, wo ihr Sohn sei. „Fuck!?!“, wiederholt Wendy ungläubig. „Oui, à la fac“, fragt die Mutter noch einmal. Man kann nicht immer alles verstehen, wenn man in einer mehrsprachigen Wohngemeinschaft in Barcelona lebt. So wie es die Erasmus-Studenten aus dem Film „L’auberge espagnole“ tun, der in Berlins Kinos gerade unter dem deutschen Titel „Barcelona für ein Jahr“ läuft.

„Fuck“ ist im Englischen kein schönes Wort. Das französische „fac“ ist eine Abkürzung, für Fakultät oder Universität, wird Wendy später in der Geschichte noch lernen, die die Erfahrungen eines Austauschstudenten in einer WG erzählt. Alle Mitbewohner sind nach Barcelona gekommen, um Spanisch zu lernen – tatsächlich sprechen sie vor allem englisch. Ein Verhaltensmuster, dass sich auch in der Realität zeigt, berichten viele Erasmus-Studenten.

„L’Auberge Espagnole“, ein französischer Film, würde sich für den Schuluntericht empfehlen. In die Berliner Französischstunden sollen zukünftig auch mehr Filme einbezogen werden, erläutert Herbert Krüger vom Fachverband für Moderne Fremdsprachen Berlin. Neben derlei Filmförderung gebe es einige Initiativen, um Sprachvielfalt zu schaffen, so Krüger. Dennoch, die Schüler machen es wie die Studenten im Film: „Sie kommunizieren lebhaft bei Austauschbegegnungen oder im Internet, aber eben alle und alles auf Englisch.“ Siehe „L’Auberge Espagnole“.

Krügers These: Die einzige Veranstaltung, auf der wahre sprachliche und kulturelle Vielfalt gefördert werde, sei die ExpoLingua. Natürlich stellte er das auf der Pressekonferenz zur Sprachenmesse fest, die am kommenden Wochenende stattfindet. Dort sollen die neuen EU-Beitrittsländer besondere Aufmerksamkeit erhalten. Nicht alle sind mit einem Stand vertreten. Das Nachbarland Polen aber stellt Sprache und Kultur vor. Obwohl es gerade von Berlin aus nach Polen nicht weit ist, macht der Polnischunterricht an den Schulen einen äußerst kleinen Teil aus. „Null Komma irgendwas Prozent“, sagt Krüger. Genauso wenig wie Japanisch, Arabisch oder Chinesisch. Er hat sich bei der Senatsverwaltung erkundigt.

Während Schulen also eher konservative Sprachbildung betreiben, denkt man in einer berufsbildenden Einrichtung an nahe liegende Beziehungen: Das Oberstufenzentrum (OSZ) Bürowirtschaft und Verwaltung schickt angehende Kaufleute für Bürokommunikation für ein Halbjahr nach Polen. ProPolska nennt sich das Bildungskonzept. „Einen dicken Zuwachs an interkultureller Kompetenz“ bringe das, sagt Edmund Köhn vom OSZ. Und es mache die Teilnehmer fit für Europa, fit auch für neue Teile der Europäischen Gemeinschaft.

Polnisch wird an der Staatlichen Internationalen Schule Berlin (SISB) nicht unterrichtet. Von der Vorschule an steht aber neben dem Deutschen gleichberechtigt – wieder nur Englisch. Meinhard Starostik vom Förderverein der SISB etwa spricht mit seinem Sohn Milan ausschließlich die Weltsprache. Seine Frau übernimmt den „deutschsprachigen Part“. Bei der Erziehung hilft auch „das Kinderfernsehen der BBC“, so Starostik.

Nicht ganz so geholfen haben Starostik die Einwände von Bekannten, die befürchteten, er bringe dem Kind fehlerhaftes Englisch bei. Deutsche habe er als Bedenkenträger geringschätzen gelernt, sagt er. Krügers Schilderung nennt Starostik vom Förderverein erwartbar ein „wenig zu pessimistisch“.

Der hatte auch die deutsche Unsitte des Synchronisierens kritisiert. Diesem Trend hat sich „L’auberge espagnole“ zumindest teilweise entzogen. Zwar spricht der Erzähler deutsch mit seltsam französischem Akzent. Das Sprachgewirr in der WG lässt sich dann aber nur mit Untertiteln bändigen. Im Spanischen hat man den Film „Una casa de locos“ genannt. Ein Haus voll Verrückter.