Ein dicker Brocken für Goslar

Keine Bedrohung mehr, ein marode Kaserne. Auch in der Kaiserstadt am Harz feiert die Bundeswehr bald Zapfenstreich: Verteidigungsminister Struck zieht 1.170 Soldaten ab. Im Ort herrschen Entsetzen, Ratlosigkeit – aber auch Hoffnung

aus Goslarvon Kai Schöneberg

Die Zukunft von Goslar hat braune Schwingen, eine gelbe Krone und echt flauschiges Fell. „Nicht so kirmesmäßig wie der alte“, quietschgelbe Adler komme der neue Kuschelvogel daher, den Besucher bald als Erinnerung aus der über 1.000 Jahre alten „Kaiserstadt“ am Rand des Harzes mitnehmen können, sagt Goslars oberster Marketingchef Michael Bitter. Und dass die Entscheidung aus Berlin eigentlich gar kein Malheur, sondern eine „Chance für Goslar“ sei. „Ich habe ja was gegen diese Rückspiegel-Nostalgiker“, meint Bitter mit Emphase. Und macht Hoffnung: Allein der Verkauf von Merchandising-Artikeln wie Goslar-Handtüchern und -Tassen sei ja „in diesem Jahr um 111 Prozent gestiegen“.

Um genau hundert Prozent sinken wird dagegen die Zahl der Soldaten im Goslarer Luftwaffenausbildungsregiment. Im „Stationierungskonzept“ von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) kommt der Fliegerhorst mit seinen 1.170 Dienststellen nicht mehr vor. Damit verliert der Bundeswehrstandort so viele Soldaten und Zivilbedienstete wie keine andere der 14 von Schließung betroffenen Kasernen in Niedersachsen. Vom Harzer Brocken lauscht die Stasi nicht mehr gen Westen, die Bedrohung aus dem früher 20 Kilometer entfernten Ostblock ist passé. Zudem würde die dringend nötige Renovierung der Kasernengemäuer aus den 30er Jahren Millionen verschlingen.

Goslar, die Fachwerkhäuschenstadt mit Unesco-Weltkulturerbe, das klingt nach Bundeskegelbahn, Jagdbedarf und Hirschgeweihlampen. 280.000 Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr gezählt. Gäste sind vor allem Senioren, Tendenz fallend. Noch mehr Entmutigendes: 12,6 Prozent Arbeitslose, jeder zehnte Laden in der malerischen Innenstadt steht leer. Die Zahl der Einwohner ist in den letzten 30 Jahren um ein Fünftel auf 43.000 gefallen. Der Abzug der Soldaten dürfte dem Städtchen Kaufkraftverluste in Höhe von etwa sieben Millionen Euro im Jahr bescheren. Die Entscheidung aus Berlin sei nicht überraschend gekommen, aber „niemand hat hier laut hurra geschrien“, sagt Klaus Germer, Vertreter des Oberbürgermeisters. Erst mal sei jetzt die Bundeswehr gefragt, was sie mit ihrem Areal vorhabe. Dann, so Gerner, stehe eine „riesige Aufgabe der Stadtentwicklung“ bevor.

Aber wohin? Die Goslarer haben den Wegzug von mehreren hundert BGS-Leuten vor einigen Jahren geschluckt, sie haben geschluckt, dass aus dem Traum des aus Goslar stammenden Ex-Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel (SPD) nichts wird, in Goslar eine Fachhochschule aufzubauen. In einer Podiumsdiskussion am Montagabend, als sich in der Stadt bereits die Hiobsbotschaft verbreitet hatte, schlug Gabriel vor, die Goslarer Sportstätten doch auf dem Gelände zu konzentrieren.

„Nachvollziehen“ kann Axel Biese ja auch, dass der Verteidigungsminister keine Strukturpolitik betreiben kann. „Aber Struck hat doch auch in seinem Ministereid versprochen, Schaden von Deutschland abzuwenden“, sagt der Chef der Interessengemeinschaft Jürgenohl. Jürgenohl ist der Stadtteil weitab von den Touristen, der bislang von der Kaserne geprägt ist. Mietskasernen aus den 50ern und 60ern, auch hier vor allem Ältere. In Bieses Apotheke kaufen die Bundeswehr-Fahrer bislang ihr Aspirin, vor allem die Einzelhändler und Gastronomen im Stadtteil hätten bereits angekündigt, „zumachen zu müssen“, wenn die Bundeswehr gehe.

„Dann sieht es hier bald genauso schlimm aus wie drüben“, sagt Marco Enkelmann von der Goslarer Kreishandwerkerschaft. Als sich die Grenzen gen Osten öffneten, gehörte Goslar zu den Boomregionen Deutschlands. Mittlerweile wandern viele Firmen aus dem einstigen Zonenrandgebiet ab. 400 Insolvenzen hat es in den letzten zehn Jahren gegeben, klagt Kreishandwerksmeister Jürgen Wolf. Drüben in Sachsen-Anhalt sind die Löhne um zwanzig Prozent geringer, die Fördersätze ungleich höher. „Harzer Käse wird demnächst bei Dresden produziert, nicht mehr in Vienenburg“, ärgert sich Wolf. Er fürchtet weitere Pleiten, weil die Dachdecker, Maler und Elektriker der Stadt bald keine Aufträge mehr aus der Kaserne bekommen: „Der Abzug der Bundeswehr kostet unsere Firmen bestimmt fünf bis zehn Prozent Umsatz.“

„Ich spüre im Moment vieles, nur nicht, dass es bergab geht“, behauptet hingegen Marketing-Mann Bitter. Langsam versucht er, das Image der Stadt zu drehen, hin zu jüngerem Publikum. Bald werden ein Mountainbike-Pfad und Stellplätze für Motorräder in der City eröffnet. Außerdem habe man „die besten Kunden, die es gibt“, triumphiert der Werber. „Die Erbengeneration ist meist über 50 Jahre alt. Und jeder zehnte erbt über 200.000 Euro“.