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Archiv-Artikel

Behindertenmorde von Auxerre vor Gericht

Fast dreißig Jahre nach dem Verschwinden von sieben jungen Frauen beginnt heute in Frankreich der Prozess

PARIS taz ■ Christine, Jacqueline, Chantal, Madeleine, Bernadette, Françoise und Martine. Die sieben jungen Frauen aus dem Burgund sind zwischen 1975 und 1977 eine nach der anderen verschwunden. Spurlos. Fast drei Jahrzehnte später wird heute das Verfahren gegen einen 70-Jährigen vor dem Schwurgericht in der Provinzstadt Auxerre, dem Ort des Geschehens, eröffnet. Emile Louis, der einstige Busfahrer für die „Rapides de Bourgogne“, ist wegen siebenfachen Mordes angeklagt.

Die jungen Frauen zwischen 15 und 27 Jahren kannten sich nicht alle untereinander. Aber sie hatten vieles gemeinsam: Alle kamen aus extrem ärmlichen Verhältnissen. Alle waren früh und auf behördlichen Beschluss von ihren Eltern entfernt worden. Alle lebten in Pflegefamilien. Alle waren geistig leicht behindert. Und alle waren der staatlichen Fürsorge (DDASS) anvertraut. Doch als die jungen Frauen eine nach der anderen verschwanden, suchte keine Behörde nach ihnen. Ihre Akten enden mit dem Eintrag: „Flucht“.

Im Justizpalast von Auxerre kamen die Akten der „Verschwundenen“ in die Ablage. Nur der Gendarm Christian Jambert stellte die Verbindung zwischen den Fällen her. Er fand auch heraus, dass der Busfahrer Louis alle jungen Frauen kannte und dass er in mehreren Fällen als Letzter mit ihnen gesehen wurde. Doch als der Gendarm versuchte, einen richterlichen Auftrag für Ermittlungen zu bekommen, schrieb im Justizpalast von Auxerre eine bis heute nicht identifizierte Richterhand das Wörtchen „non“ auf den Antrag. Damit war die Sache erledigt.

Doch Jambert arbeitete auf eigene Faust weiter. Im Jahr 1987 wurde er tot im Keller seines Hauses gefunden. „Selbstmord“, hieß es: „Er hatte familiäre und finanzielle Probleme.“ Heute wird die Todesursache bezweifelt. Mehr als ein Jahrzehnt nach Jamberts Tod wurde seine Leiche erneut untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass er zwei Einschüsse im Schädel hatte. Möglicherweise war davon schon der erste tödlich.

Manche Angehörige setzten in den 70er-Jahren Suchanzeigen in die örtliche Zeitung. Andere erfuhren erst Jahre später, dass ihre Schwester oder Tochter verschwunden war. Den Familien der Verschwundenen gelang es gegenüber den Notablen nicht, sich Gehör zu verschaffen. Das änderte sich erst Mitte der 90er-Jahre, als eine Vereinigung zur Verteidigung von Behinderten den Fall aufgriff. Die ADHY brachten die „Verschwundenen aus dem Yonne“ in die nationalen Skandalblätter und Talkshows. Erst danach begann auch die örtliche Justiz sich für die Fälle zu interessieren. Das war 1996.

Busfahrer Emile Louis war selbst ein Kind der Fürsorge. Wegen sexueller Gewalt wurde er mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilt. Als er im Dezember 2000 wegen der sieben jungen Frauen aus dem Yonne verhaftet wurde, legte er ein umfassendes Geständnis ab und nannte den Ort, an dem er zwei Leichen verscharrt hat. Inzwischen hat Louis sämtliche Vergewaltigungen und Morde widerrufen. Seine Verteidiger gehen davon aus, dass die Verbrechen verjährt sind. DOROTHEA HAHN