: Die Demokraten sind schon wieder bei der K-Frage
Der große Streit steht den Demokraten noch bevor: darüber, was sie eigentlich wollen – außer der Macht. Vorerst trösten sie sich mit Personaldebatten über die Niederlage hinweg
WASHINGTON taz ■ Michael Moore hat seine Sprache verloren. Seine letzte Message ist vom Wahltag: In Florida sieht es super aus, ganz viele Menschen gehen wählen. Kein Kommentar, keine Stellungnahme zur Wahl, nichts auf seiner Website, aus. Moveon.org, jene linke Basisorganisation, die nicht zuletzt mit den Finanzen des Multimilliardärs George Soros hunderttausende von Wählern im ganzen Land mobilisierte, hat immerhin einen Dankesbrief an die Mitglieder und Unterstützer verfasst, in der die Aktiven ankündigen, nach einem Tag Pause weiterzuarbeiten für „das Amerika, von dem wir wissen, das es möglich ist“.
Im Vergleich zu dem entsetzten Schweigen und den vorsichtigen Durchhalteparolen der Anti-Bush-Aktivisten ist die Demokratische Partei in ein aufgeregtes Schnattern verfallen. Wir müssen mehr über Religion reden, sagen die einen. Wir müssen mehr zur Mitte, sagen die anderen. Wir müssen klare Positionen gegen den Krieg beziehen, sagen die Dritten. Wir müssen uns vom New Deal verabschieden, sagen die Vierten. Wir müssen begreifen, dass wir Oppositionspartei sind, sagen die Fünften. Wir brauchen einen neuen Kandidaten für 2008, sagen alle.
Und weil Letzteres offenbar die Diskussion ist, mit deren Termini leichter umzugehen ist, ist die Debatte über neue Namen in vollem Gange. Wir brauchen jemanden aus dem Süden, der die Konservativen erreicht, sagen die einen. Wir müssen die jungen demokratischen Führungspersönlichkeiten einbeziehen, also die Gouverneure, sagen die anderen. Wir brauchen Hillary Clinton, sagen viele.
Dass die ehemalige First Lady und jetzige Senatorin aus New York 2008 kandidieren wird, scheint unstrittig – jedenfalls dann, wenn sie 2006 ihre Wiederwahl überzeugend übersteht. Der Vorteil Hillary Clintons liegt auf der Hand: Sie ist bekannt, und sie hat viele Anhänger. Der Nachteil: Sie ist bekannt und hat viele Feinde.
Als ob die Demokraten noch nie davon gehört hätten, dass verfrühte Personaldiskussionen eben jenes Personal verbrennen, werden bunt Kandidaten durcheinanderg eworfen. New Mexicos Gouverneur Bill Richardson, Iowas Gouverneur Tom Vilsack, der inzwischen arbeitslose Senator John Edwards werden genannt. Und natürlich, immer wieder, Hillary Clinton.
Dabei wäre es eigentlich an der Zeit, darüber zu debattieren, was die Demokraten eigentlich wollen – außer der Macht. Die Washington Post veröffentlichte gestern eine Karikatur: John Kerry schließt einen Laden zu, an dem „Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen“ steht. Ladenschild: „The New Deal“. Senator Bob Graham aus Florida, selbst kurzzeitiger Kandidat in den demokratischen Vorwahlen, mahnt eine eigene Strategie für den Krieg gegen den Terror an und fordert darüber hinaus in der New York Times eine „Debatte darüber, wie wir die Wertediskussion von Gott, Schusswaffen und Schwulen auf Toleranz, Sozialverhalten und Liebe lenken können“.
Tatsächlich sind die Demokraten besonders geschockt davon, dass die alte Weisheit nicht mehr gilt, dass Rekordwahlbeteiligung ihnen quasi automatisch den Wahlsieg bringt. „Bei einer Wahlbeteiligung von 120 Millionen Menschen, müssen wir an irgendeinem Punkt einsehen, dass es offenbar einfach mehr von denen gibt als von uns“, zitiert die New York Times einen Wahlhelfer. Geplättet konzedieren die Demokraten, dass die christlich-konservativen Basisgruppen in Sachen Mobilisierung mindestens gleichgezogen haben.
Dabei greift offenkundig die Diskussion über Personen und Methoden zu kurz. Das „Ich habe einen Plan“ des Senators John Kerry stand stets gegen das „Ich habe eine Vision“ des George W. Bush. In diesem Sinne hat Bush tatsächlich Führungskraft gezeigt: Vor allem er trieb die Kerry-Wähler an die Urnen, und die Demokraten würden sich in die eigene Tasche lügen, wenn sie das Problem nur im mangelnden Charisma ihres Kandidaten suchen würden. Wenn Kerry in seiner Rede vom Mittwoch, in der er die Niederlage eingestand, nach Heilung der gespaltenen Nation rief, ist das insofern auch eine flehende Bitte, den orientierungslosen Demokraten wenigstens eine Chance zu geben, sich nicht nur an dem polarisierenden Präsidenten abarbeiten zu müssen. Die Chancen dafür sind gering. Die Demokraten stehen vor einem schmerzhaften Prozess. BERND PICKERT