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Archiv-Artikel

Kein Stubenarrest für Kranke

Die Augen sind verquollen, der Hals kratzt, die Nase läuft, der Kopf dröhnt: Jetzt ist Erkältungszeit. Die Zahl der Krankmeldungen steigt zwangsläufig. Viele sind unsicher, was Krankgeschriebenen gestattet ist. Wann droht Ärger?

Es gebe eine einfache Regel, sagt Jörg Bodanawitz, Pressesprecher der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) in Hamburg: „Erlaubt ist, was der Arzt erlaubt. Und der Arzt erlaubt, was aus therapeutischen Gründen sinnvoll ist.“

Wer krankgeschrieben ist, müsse sich nicht zu Hause verkriechen und den Kontakt zur Außenwelt abbrechen. Selbstverständlich dürfe er einkaufen gehen und wichtige Dinge des Lebens verrichten, erläutert Bodanawitz. Im Einzelfall sei es sogar äußerst ungesund, allein zu Hause zu hocken. „Für jemanden, der aus psychischen Gründen krankgeschrieben ist, ist es wichtig, sich nicht in seine Wohnung zurückzuziehen. Gerade er sollte unter Menschen gehen.“ Einen Einkaufsbummel machen, Freunde treffen, ins Kino gehen, ein Konzert besuchen, also alles okay – solange es dem Gesundwerden dient.

Auch in die Ferien zu fahren ist möglich. „Wenn sich beispielsweise jemand den Knöchel gebrochen hat, muss er seinen Urlaub am Meer nicht absagen, solange er sich gesundheitsfördernd verhält“, sagt Antje Walter von der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg. An den Strand setzen: ja, surfen gehen: nein. „Oft ist es eine Gratwanderung, was noch der Gesundheit dient und was nicht mehr“, resümiert Walter. „Wer mit einem gebrochenen Bein eine Disko besucht, läuft Gefahr, dass ihm jemand vor das Bein tritt oder die Krücke wegschlägt.“ Ein Diskobesuch könne daher Grund für eine fristlose Kündigung sein. Auch jemand, der während seiner Krankschreibung im Nebenjob rackert, riskiere seine Stelle.

Wer krank ist, muss das seinem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen, sagt das Gesetz. Das kann er per Telefon, Fax oder E-Mail tun. Er kann aber auch einen Freund oder Nachbarn bitten, in der Firma Bescheid zu geben. Spätestens am vierten Krankheitstag muss die „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ auf dem Tisch des Arbeitgebers liegen, so die gesetzliche Regelung. Viele Unternehmen verlangen den „gelben Schein“ aber bereits vorher. Daher zur Sicherheit besser noch mal in den Arbeitsvertrag schauen. Übrigens: Auch Wochenenden und Feiertage werden mitgezählt. Wer also freitags krank wird, muss dafür sorgen, dass die Bescheinigung des Arztes am Montag im Betrieb ist.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ein Chef, der an der Erkrankung des Arbeiters oder Angestellten zweifelt, kann sich an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) wenden. In solchen Fällen lädt diese Einrichtung der gesetzlichen Krankenversicherungen den Krankgeschriebenen ein und begutachtet seinen Zustand. „Arbeitgeber machen allerdings von diesem Mittel nur sehr, sehr selten Gebrauch“, beruhigt Bodanawitz. Eine genaue Statistik führe die DAK nicht, aber eine Umfrage in den Hamburger Filialen habe ergeben: Eine solche Anfrage kommt pro Geschäftsstelle nur zwei- bis dreimal im Jahr vor.

Wer sich trotz Krankschreibung wieder fit fühlt, darf übrigens auch ohne Rücksprache mit einem Arzt wieder zur Arbeit gehen. Eine Gesundschreibung ist nicht nötig.

Angst um ihren Job veranlasst derzeit viele Menschen, sich trotz Beschwerden zur Arbeit zu schleppen. Der Krankenstand sei 2003 auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren gesunken, berichten beispielsweise die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). „Neun von zehn Beschäftigten gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie sich nicht gut fühlen, Schnupfen oder Kopfschmerzen haben“, weiß Marktforscher Klaus Zok vom Wissenschaftlichen Institut (WIdO) der AOK in Bonn. Das habe im vergangenen Jahr eine Umfrage unter rund 2.000 Arbeitnehmern zwischen 16 und 65 Jahren ergeben. Gut 70 Prozent sind danach zur Arbeit gegangen, obwohl sie sich „richtig krank“ fühlten. Zok: „Besonders bedenklich ist, dass rund 30 Prozent der Befragten angaben, auch gegen den Rat ihres Arztes zur Arbeit zu gehen.“

Experten allerdings freuen sich keineswegs über den niedrigen Krankenstand. Sie warnen: Verschleppte Krankheiten und mangelnde Verbeugung kosten das Gesundheitssystem Milliarden. PIA M. SOMMER