: Opposition jetzt
Gegen die apokalyptischen Fantasien der religiösen Rechten in den USA hatte der blasse Kandidat Kerry keine Chance. Jetzt sollte Europa die US-Opposition unterstützen
Für viele US-amerikanische Wähler war der 2. November das Armageddon, die Schlacht, bei der die himmlischen Heerscharen die Legionen der Sünde vernichten. Dabei bleibt die theologische Interpretation auch vier Tage nach dem Ereignis schwierig. Wer genau war auf Gottes Seite?
Die säkularen Fortschrittlichen, diese Stützen der kulturellen Modernität, die sozialen Katholiken und liberalen Protestanten, die Kerry unterstützten, haben keine Zweifel: Sie waren es, und wenn Gottes führende Hand unverantwortlicherweise ausrutschte, dann war das kein endgültiger und fürchterlicher Richterspruch, sondern ein Unfall, der – wenn es denn ein großer war – 2008 wieder gutgemacht werden kann.
Die Sieger, die nun sowohl das Weiße Haus als auch das Repräsentantenhaus und den Senat kontrollieren, lassen derweil weder Zweifel noch Unsicherheit zu: Ihre Macht kommt von Gott, der durch die Mehrheit der US-Amerikaner handelt. Tatsächlich mischt der alte und neue Präsident religiöse Rhetorik mit der Sprache der politischen Ökonomie. Mit seinen Worten gesprochen hat er nun das politische Kapital, und er beabsichtigt, es auszugeben.
Abseits dessen ist es den Republikanern besser als den Demokraten gelungen, ihre Stammwählerschaft zu mobilisieren: Weiße in den Vororten, von Sexualität jeder Art verängstigte christliche Traditionalisten, Menschen, die sich von einem Präsidenten angesprochen fühlen, der Erlösung von der Furcht verspricht, dass die Vereinigten Staaten nicht mehr länger unverwundbar sind, die seine Unwahrheiten über Massenvernichtungswaffen im Irak und die Verbindung zwischen al-Qaida und Saddam Husein glaubten.
Die Demokraten hatten sich damit abgefunden, einen Kandidaten zu unterstützen, für den sie wenig Begeisterung aufbringen konnten. Zeitweise schien sogar der Kandidat selbst wenig begeistert von sich zu sein. Unfähig, einen Krieg abzulehnen, den er befürwortet hatte, ohne überzeugendes wirtschaftliches und soziales Programm, blieb nur noch eine wirklich große Begründung für Kerrys Anspruch auf das Amt: Er ist nicht Bush. Ralph Naders Verschwinden hinter dem historischen Horizont belegt, dass die US-amerikanische Linke – die ein gutes Stück größer und besser in der US-Gesellschaft verankert ist, als viele Europäer denken – es für ihre allererste Aufgabe hielt, Bush loszuwerden. Sie und die Mitte der Demokraten, die sich zeitweise von ihrer Kriegskoalition mit dem Präsidenten losgerissen hatten, um einen Kandidaten zu unterstützen, der im Senat immer auf Distanz mit ihnen geblieben war, haben die Wahlen verloren. Was nun?
Die Demokraten werden ihr Projekt diskutieren, bis sie ihre Streitigkeiten beenden, indem sie einen Kandidaten für 2008 bestimmen. Kerrys Mängel an klarer politischer Identität war fatal. Vielleicht wird der nächste Bewerber mehr Konturen aufweisen. Aber in der Zwischenzeit werden die Demokraten eine klare Oppositionspolitik gegenüber einem Präsidenten entwickeln müssen, dessen versöhnende Worte keine Bedeutung haben. Sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik erinnert das Weiße Haus unter George W. Bush weniger an Qualitätsproduktionen wie die TV-Präsidialparodie „West Wing“, als an die vielleicht noch amerikanischeren Charaktere in der Mafia-Serie „Die Sopranos“.
Bush hat die Vereinfachung des Steuersystems zu seinem ökonomischen Programm erklärt. Hinzu kommt eine weitere Deregulierung der Wirtschaft, sowie die teilweise Privatisierung des sozialen Sicherungssystems. Die Staatsverschuldung macht Ausgaben für soziale Programme schwierig, besonders wenn gleichzeitig das Militärbudget anwächst. Daher sind Einschränkungen unseres bereits heute nicht eben beträchtlichen Wohlfahrtsstaats sicher.
Die Steuerreform wird mit Sicherheit die relative Belastung unten und in der Mitte der Einkommensskala erhöhen, indem die bereits jetzt begrenzten progressiven Steuersätze weiter abgeflacht werden. Die teilweise Privatisierung der sozialen Sicherung ist ein Geschenk an die Wall Street – aber selbst die Banker machen sich bereits Sorgen darüber, dass die Regierung nicht in der Lage sein wird, Trillionen von Dollars Übergangskosten zu zahlen. Ältere Arbeiter müssen weiterhin durch die Beiträge jüngerer finanziert werden. Unser Präsident ist nicht besonders gut in Arithmetik. Vielleicht rechnet er ja damit, dass der Rest der Welt weiterhin bereit ist, unsere wachsenden Auslandsschulden zu akzeptieren.
Die Republikaner sind nicht nur die Partei des Marktes, sie sind die Partei der „Werte“. Dabei handelt es sich um genau die repressive Moral und genau die panische Angst vor Veränderung, die unsere Schriftsteller seit gut zwei Jahrzehnten so umbarmherzig bekämpfen. Diese Werte wurden kombiniert mit dem biblischen Geschreibsel und den apokalyptischen Fantasien der protestantischen Fundamentalisten – und der Rückkehr einiger US-amerikanischer Bischöfe sowie vieler Laien zu Positionen, die eigentlich in die Welt vor dem 2. Vatikanischen Konzil gehören. Einige dieser Bischöfe haben Kerry verurteilt, weil er Abtreibung und Stammzellenforschung nicht klar ablehnt. Über die Ablehnung der kapitalistischen Globalisierung und des Angriffs auf den Irak durch den Vatikan schwiegen sie.
Die protestantischen Fundamentalisten und ihre katholischen Verbündeten sagen nun, dass sie erwarten, für ihre Unterstützung mit der Berufung bestimmter Richter an den Supreme Court belohnt zu werden. Bush wird drei oder vier von insgesamt neun Richtern neu ernennen. Diese sollen Abtreibung kriminalisieren und Stammzellenforschung verbieten – und mit präsidialer Unterstützung Verfassungsänderungen durchboxen, die Homoehen und die Bürgerrechtsbewegung behindern. Zudem wünschen sie sich obligatorische christliche Gebete an den öffentlichen Schulen. Bush hat alle Gründe, um diesen Wünschen zu entsprechen – und dabei mit unglaublichem Zynismus der Öffentlichkeit weiter zu versichern, dass man nicht Christ sein muss, um zur Nation zu gehören.
Außenpolitisch hat Bush jeden Grund anzunehmen, dass er grünes Licht hat, mit totalem Krieg gegen den Widerstand im Irak vorzugehen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Einwände aus dem außenpolitischen Apparat, dem Kongress oder der Öffentlichkeit ihn jetzt noch beeindrucken. Was weitere Abenteuer angeht, so hat der britische Außenminister gerade erklärt, ein US-Angriff auf den Iran sei „unwahrscheinlich“. Übersetzt in nichtbritisches Englisch heißt das, dass er ihn tatsächlich für wahrscheinlich hält und Bush und seinen eigenen Premierminister davor warnen will, dass große Teile der Labour-Party das nicht akzeptieren werden.
Nun ist der Präsident aber der Führer der Kriegspartei, die allen Grund hat anzunehmen, dass das Wahlergebnis nicht nur eine Rechtfertigung darstellt, sondern eine Legitimation dafür, den Krieg zu intensivieren und auszuweiten. Was die erneute Aufmerksamkeit für das Problem der israelischen Besetzung Palästinas angeht, so erklären beide Parteien, dass bereits die Benutzung des Begriffs „Gleichbehandlung“ einen Beleg für die Kapitulation vor dem Terrorismus darstelle. Keine Frage, viele in Washington wissen, dass das nicht stimmt. Aber sie haben nicht den Mut, es zu sagen.
Es bleibt abzusehen, mit welcher Kohärenz und Intensivität die Demokraten dem Marsch ins völlige Desaster begegnen werden. Die Bürgerrechtsbewegung, die Kerry im Wahlkampf sehr effektiv unterstützt hat, wird keine Passivität der demokratischen Kongressabgeordneten dulden. Zwar muss sie selbst ein politisches Vakuum füllen, indem sie den Protest wieder auf die Straße trägt. Aber: Wenn der Schock über das Wahlergebnis erst mal verdaut ist, werden diejenigen, die jetzt gegen Bush mobilisiert haben, schwerlich vier Jahre lang politikabstinent bleiben.
Ich habe die langwierigen Erklärungen europäischer Politiker über die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit der US-Regierung natürlich gelesen. Ein wenig mehr Distanz im Ausdruck wäre ein Zeichen für mehr Respekt vor sich selbst gewesen. Wenn die Europäer Bush beeinflussen wollen, dann sollten sie auf das Potenzial der einheimischen US-amerikanischen Opposition achten. Was uns angeht, so erinnern wir uns in diesen Zeiten der politischen Religiosität an ein altes amerikanisches protestantisches Sprichwort: Gott hilft denen, die sich selbst helfen. NORMAN BIRNBAUM
Aus dem Englischen: RR