: Feier der Körperlichkeit
Tief berühren: Das will Nada Njiente, Schauspielerin und Performerin, mit ihren Interpretationen von Brecht, Büchner und anderen Klassikern. Ihr Weg dahin führt durch die Pornografie, offen und abseits des Voyeurismus in Hinterzimmern
von RICHARD RABENSAAT
Eingeschnürt in einem Bondage schwebt Nada Njiente nackt über der Bühne. Den Strick an ihrem Rücken befestigt, streckt sie alle viere nach unten, aus dem Korsett ragt ein Pferdeschwanz in die Luft. „Oh, Fallada, der du da hangest“, von Bert Brecht singt sie. Der Dichter beschrieb in Anlehnung an das bekannte Märchen einen Gaul, der so lange den Karren zog, bis er vor Schwäche zusammenbrach. Aus der noch lebenden Schindmähre reißen bei Brecht die hunrigen Berliner während der Depression nach dem Ersten Weltkrieg das dampfende Fleisch. Traurig, gebrochen füllt Nada Njientes Stimme den Clubraum.
Mit jeder Faser scheint ihr anmutiger, 44-jähriger Körper das Schicksal des Tiers widerzuspiegeln. „Bei Brecht fühle ich mich zu Hause. Die ungebremste Kraft seiner Stücke und Lieder, das ist es, was ich auch in meinen Performances suche“, erklärt die Disseuse. Die „ErBrecht“-Nacht ist ein Programm ihrer Reihe „Fragmente der Leidenschaft“, die sie mit wechselnder Begleitung aufführt. Mit dem Alabama-Song, der schon den Extrempoeten Jim Morisson zu alkoholgeschwängerten Höchstleistungen inspirierte, beendet sie das Programm. Während der Rockpoet seine Männlichkeit allerdings mit einem Stück Gummischlauch in der Unterhose aufpolierte, hat Nada Njiente so eine Camouflage nicht nötig.
Zwei ebenfalls unbekleidete Kolleginnen unterstützen sie erst an der Bar und auf der Bühne. Laut lachend beenden die drei Damen ihre nicht ganz ernst gemeinte Interpretation des Klassikers. Das zu ungefähr gleichen Teilen männlich und weiblich besetzte Publikum klatscht ordentlich Beifall. „So eine Pornodarbietung geht natürlich nicht überall“, weiß Njiente, die auch in konventionellen Theaterstücken spielt und inszeniert. Inwieweit die exhibitionistische Darbietung ihren künstlerischen Meriten zuträglich ist, kümmert sie mittlerweile nicht mehr sonderlich: „Was ich mache, ist meins. Da muss ich mich vor niemand rechtfertigen.“ Nach der Show sieht sie sich umringt von ihrer Bühnencrew und den Mitarbeitern des Kit Kat Clubs.
Eine kleine Familie. Selbstbewusst bejaht die Schauspielerin ihr Leben, von dessen eigenwilligen Wendungen die 1959 in Düsseldorf geborene Nada noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Erst im Alter von 23 Jahren fasste Njiente den Entschluss, eine professionelle Ausbildung als Tänzerin und Schauspielerin zu beginnen. „Mein Körper schafft das“, war die ausgebildete Elektrikerin überzeugt. Um ihr Studium zu finanzieren, sah sie sich nach einer Einkommensquelle um, in der sie Tanz und Theaterdarstellung schon einmal proben konnte. Shows und Striptease boten sich an. Sie entdeckte, dass erotischer Tanz auch eine Feier der dargebotenen Körperlichkeit sein kann – abseits des virulenten oder offenkundigen Voyeurismus in Hinterzimmerwichsbuden.
Im Kit Kat Club, wo schon zu Techno-Zeiten lockere Sitten herrschten und ein Nachklang der Hippieträume von der freien Liebe durch die Räume wehte, fand sie ein geeignetes Forum. Die erotische Darstellung auf der Bühne, sich als Lustobjekt der Fantasie des zahlenden Besuchers auszuliefern, begreift sie auch heute noch als einen wichtigen Teil ihrer Arbeit: „Der Sex hat so viele Facetten, wie es Individuen gibt. Er lebt durch und in der Fantasie jedes Einzelnen, wie auch immer er sich manifestiert.“ Trotz des so erklärten Primats der Fantasie scheut Nada jedoch auch nicht davor zurück, in eigenen Inszenierungen deutlich pornografisch zu werden. „Mich interessieren diese drastischen Stellen, vor denen Theatermacher häufig zurückschrecken“, erklärt sie. So interpretierte sie Dantons Tod von Büchner recht eigenwillig. Als der Revolutionär der Hure Marion beteuert, er wolle sich „auf jeder Welle des schönen Leibes brechen“, und diese entgegnet, sie sei wie „ein Meer, das alles verschlingt und sich tiefer und tiefer wühlt“, liest Njiente das nicht metaphorisch. Sie vögelt auf der Bühne. Verschwurbelte Andeutungen sind ihre Sache nicht. Wenn es die Dramaturgie des Stückes erfordert, schreitet sie auch in Stücken von Satre und De Sade zum realen Vollzug.
Es sind nicht die klammen Finanzen, die ihre provokanten Darstellungen herausfordern. „Ich bin die geborene Performerin, ich wollte das schon immer tun. Wenn meine Aufführungen die Zuschauer irgendwie tief berühren, bin ich glücklich“, beteuert sie. So ist der Sex auf der Bühne Mittel zur Intensivierung des Spiels. Porno als Selbstzweck, die schnelle Triebabfuhr jedoch ist ihr zuwider: „Pornofilme finde ich langweilig, da wird alles banalisiert.“
Die Schauspielerin Njiente glänzt auch in anderen Stücken. In dem Sozialdrama „Arm und einsam“ spielt sie die Frau eines in den Alkoholismus abgleitenden Arbeiters. Die Darstellung der beklemmenden Lebensumstände gelingt überzeugend und ohne Pathos. Talentscouts sind in der schwach besuchten Aufführung allerdings offensichtlich nicht anwesend. „Ob ich noch einmal in einem wichtigen Stück eine gute Rolle angeboten bekomme, weiß ich auch nicht,“ bekennt Nada freimütig. Vielleicht ist das auch nicht nötig, scheint sie doch in ihrem Changieren zwischen Hochkunst und Subkultur bereits die Rolle ihres Lebens gefunden zu haben.
21. 11. Lesung im Darkside, 3. 12. Beta Blocker im Roten Salon