zwischen den rillen : Schwestern machen es für sich selbst
Die Seele im Herzen: Die neuen Platten von Meshell Ndegeocello und Joss Stone sind konstruiert und doch überaus glaubwürdig
Für den Feminismus haben Frauen im Pop nicht viel geleistet. Umgekehrt gilt aber das gleiche auch: Bei Madonna hat erst die Gay Community in den Bars rund um die New Yorker Christopher Street auf den Tischen getanzt, später war es das Feuilleton, das sich Gedanken darüber gemacht hat, ob ihr „Material Girl“ ein Wink der Yuppies war oder ausgefuchstes Spiel mit den Images der Achtzigerjahre. Schuld am Niedergang der Emanzipation war Madonna jedenfalls immer dann, wenn wieder mal irgendwo in einem ihrer Videos zu viel Busen gezeigt wurde oder Wachs über Seidenlaken tropfte – ein klarer Fall von Playboys williger Helferin. Über ihre frauenfördernden Aktivitäten im Musikgeschäft ist dagegen kaum ein Wort verloren worden. Doch ohne ihr Label Maverick, das sie 1992 zur Lancierung des eigenen „Erotica“-Albums gegründet hat, wäre Alanis Morrisette vermutlich nie in den Charts gelandet.
Auch Meshell Ndegeocello hat der Queen of Pop einiges an Ruhm zu verdanken. Unter Madonnas Federführung konnte sie ihr Debüt 1993 auf Maverick veröffentlichen: „Plantation Lullabies“ war ein Beatbox-lastiges Manifest, bei dem sich Gender-Theorien und postcolonial studies hervorragend mit Rap-Poetry und HipHop mixen ließen. Über Sex wurde auch geredet, dafür hatte Ndegeocello Zeilen wie „If that’s your boyfriend / he wasn’t last night“ parat – bitching at its best, von einer Frau, die den Namen ihres Girlfriend in daumendicken Lettern auf den Hals tätowiert trägt.
Mittlerweile hat sich der große Kitzel aus Geschlechter-Patchwork und Streetcredibility merklich gelegt. Mag sein, dass sich ihre Musik bis hin zur Jazz-Brunch-Förmigkeit etwas zu sehr verfeinert hat auf den letzten vier Veröffentlichungen. Vielleicht ist es auf Dauer nicht von Vorteil, wenn jemand auch ständig als Studiogast bei den Stones oder John Mellencamp Bass spielt.
Trotzdem gilt Ndegeocello mit ihrem lässig schleppenden Gesang noch immer zurecht als role model für die Damen des NuSoul, in diese Richtung geht auch ihr aktuelles „Comfort Woman“. Ganz unten, deep, in den wärmeren Bereichen der Physis angesiedelt, wird hier durchdekliniert, was am Trickstertum des Funk so viel Spaß macht – die Verführung um der Verführung willen.
Wie im Halbschlaf erzählt Ndegeocello, dass sie mit ihrer Liebe gerne Schmetterlinge im Bett sammelt, und zu elektrifiziertem Dub heißt es „Come smoke my herb“, was im deutschen wohl am besten mit „Komm, trink mein Badewasser“ zu übersetzen wäre. So viel Anstößigkeit muss sein, schon weil der Partykeller bei Ndegeocello unter einem Literatursalon liegt.
Eine Generation weiter haben sich die Rollenbilder noch zusätzlich verwirrt. Singt hier ein Teenager für seine Großeltern? Oder ist Joss Stone die Rückkehr des traditionellen Soul als Reaktion auf all die Jeep-Beat-R&B-Verschnörkelungen der letzten Jahre?
Eine solche Biografie wie die von Joss Stone muss man derzeit bei Motown zumindest ziemlich lange suchen: Stone ist ein sechzehn Jahre altes weißes Schulmädchen aus der britischen Provinz, sieht süß aus mit ihrem Jugendspeck um die Hüften und hat ihr Ticket ins Studio nach Miami beim Gesangswettbewerb einer TV-Show gewonnen. Auch hier hat allerdings eine Frau im Hintergrund nachgeholfen: Ohne den Seventies-Soul-Star Betty Wright wäre es nie zu einem dermaßen southern groovenden Debüt wie „The Soul Sessions“ gekommen.
Tatsächlich war Stone erst für Aufnahmen im Stil eines handelsüblichen Casting-Sternchens geplant, als nettes Frischfleisch für MTV und Shoppingmalls. Dann hat Wright schnell gemerkt, dass da mehr zu holen ist, vielleicht sogar eine neue Whitney Houston: Stone singt von Natur aus schwarz, sie hat Gospel im Herzen, dort, wo andere in ihrem Alter ein Portemonnaie-Foto von Robbie Williams tragen.
Und sie weiß auch, das irgendwas bei ihrem Coming-of-Age schief gelaufen sein muss: „Als ich einer Freundin zu Hause das erste Mal einen Song von Aretha Franklin vorgespielt habe, hat sie mich mit leerem Blick angestarrt. Sie hat nichts dabei gefühlt. Seither höre ich solche Sachen für mich alleine.“
Jetzt hat Stone Freunde, die 40 Jahre älter sind als sie selber. Musiker wie Timmy Thomas oder Little Beaver, die auf Platten mitgemacht haben, für die unsereins ein halbes Monatsgehalt ausgeben würde, wenn er dafür die Original-Singles von Carla Thomas oder Sugar Billy kaufen könnte. Stone hat diese Raritäten bei ihren neuen Kumpels auf dem Sofa gehört, kurz gekichert und die Lieder darauf gleich im Dutzend neu eingesungen, ruckzuck an vier Tagen, so war es früher ja auch.
Das Ergebnis ist – true, glaubwürdig, meinetwegen echt. Jedes Elend des Verlassenseins seufzt in trockenen Memphissound eingebettet an der richtigen Stelle, jeder Ärger über irgendeinen „dirty old man“ faucht bei Stone auf den Punkt genau. Wie in den Sixties, denkt man, schaut aufs Cover und liest bass erstaunt, das „Fell in love with a boy“ von den White Stripes stammt. Aber der Garagen-Blues passt vom Gefühl her, schließlich ist Stone jung genug und Soul mehr als nur ein nostalgisches Klischee.
HARALD FRICKE
Meshell Ndegeocello: „Comfort Woman“ (Maverick/Warner Music)Joss Stone: „The Soul Sessions“ (S-Curve Records/EMI)