fußpflege unter der grasnarbe : Mit 110 Profis in die vierte Liga
Wir Tintenpisser müssen auch sonntags manchmal früh raus, aber das hat auch seine Vorteile, wie ich am vorvergangenen Sonntag erleben durfte: Um halb neun traf ich im Presseshop im Bahnhof Altona Kurt Jara, den verkannten Strategen des gnadenlosen Defensivfußballs. Weil man solche Zeitgenossen normalerweise nicht im Zeitschriftladen begegnet, studierte ich sofort sein Konsumverhalten. Ergebnis: Er hielt sich zwei Minuten im Laden auf und entschied sich für „Bild am Sonntag“ und die „Morgenpost“.
Das hätte ich mir auch vorher denken könen, und umso mehr ärgerte es mich später, dass ich vergessen hatte, ihm eine Frage zu stellen, die mich seit Wochen beschäftigt: Warum braucht ein Trainer eigentlich einen Berater? Kurt Jara hat nämlich einen, wie man nach seiner Entlassung beim HSV einigen Artikeln entnehmen konnte, die mit Blick auf die Abfindungsverhandlungen geschrieben waren. Vinicio Fioranelli heißt der Mann, und der gehört zu den Großen im internationalen Spielervermittlerbusiness.
Was die Spieler und ihre Berater betrifft, sind wir ja längst einiges gewohnt: St. Paulis Mittelfeldmann Heiko Ansorge lässt sich von einem Hannoveraner Rechtsanwalt vertreten, der, wie über www.transfermarkt.de zu erfahren ist, den Marktwert des Talents mit 50.000 Euro angibt. Und wenn von Verhandlungen mit Ansorges Teamkamerad Nascimento die Rede ist, dann tauchen Berater stets im Plural auf. Andererseits: Dass ein Regionalligaspieler mehr als einen Berater hat, verwundert kaum, wenn man an Nascimentos Landsmann Kleber denkt, der bei Hannover 96 spielt. Um Kleber für eine Saison von Corinthians Sao Paulo an 96 auszuleihen, brauchte es gleich sieben Berater.
Als der Fußball noch boomte, haben viele hohe Tiere der Vermittlerzunft den Klubs – und somit auch den Fans, die diese finanzieren – abstrus hohe Summen entzogen. Am besten ist das – weil die großen Fußballbücher immer noch aus England kommen – in Tom Bowers Werk „Broken Dreams“ dokumentiert. Der Autor präsentiert hier schockierende Indizien dafür, dass der Absturz von Klubs wie West Ham oder Sunderland auch Managern anzulasten ist, die Spielerwechsel vor allem initiierten, um ihnen wohlgesonnene Vermittler zu befriedigen.
Die Lehre des Buchs gilt auch außerhalb Englands: Wenn ein Verein viele Spieler kauft, damit sie nur kurzfristig Krisensymptome lindern, wenn er darüber hinaus allzuviele von denen holt, deren Nutzen für die Mannschaft sich objektiv nicht erschließt – dann sollte das ein Alarmzeichen sein. Beim bisher höchst spielerberaterfreundlichen FC St. Pauli hat niemand Bower gelesen. Immerhin verpflichtete der Klub unter der Herrschaft der Ich-AG Franz Gerber – die, weil kürzlich wohl jemand den Fußball-Gott wegrationalisiert hat, weiterhin Bestand hat – knapp 40 Spieler. Man muss übrigens gar nicht bis nach England gucken, um Angst zu bekommen, sondern nur kurz an den Trainer Uwe Rapolder denken. Der holte zwischen Mitte 1997 und Ende 2001 fast 110 Profis zum SV Waldhof. Der Klub spielt heute in der 4. Liga.
Fotohinweis: René Martens veröffentlichte das Buch „Scheiß Fußball! Was echte Fans so richtig ärgert“ (Eichborn). Seinen einzigen Fußball hat er einem Sechsjährigen geliehen.