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Archiv-Artikel

Rehabilitierung der Piraten

Am 10. November 1944 werden in Ehrenfeld sechs Edelweißpiraten von den Nationalsozialisten ermordet. Erst 60 Jahre später rückt ihre Anerkennung als „Opfer des Nazi-Regimes“ näher

VON Martin Block

Eigentlich wollten die Edelweißpiraten nur eines: Trotz Diktatur und Krieg ihre Jugend auskosten und sich nicht herumkommandieren lassen. Doch in der Nazizeit war es schon rebellisch, längere Haare zu haben, Lieder mit frechen Texten zu versehen, Wochenendfahrten zu unternehmen. Als Symbol war das Edelweiß eindeutig und konnte doch nicht verboten werden, war es doch die „Lieblingsblume des Führers“, wie sich ein Edelweißpirat in einem Verhör einmal herausredete. Am 10. November 1944 wurden sechs von ihnen ermordet.

Sie trafen sich heimlich in Parks, in Ruinen, an Bunkern der zertrümmerten Städte Köln, Düsseldorf, Wuppertal und anderswo. Es kam zu Schlägereien mit der HJ, Vorladungen der Gestapo und Verhaftungen folgten. Viele ließen sich davon abschrecken, andere wurden risikobereiter. Einige wurden in Jugend-KZ, Strafbataillon und Wehrertüchtigungslager geschickt. Der intuitive, nicht-organisierter Widerstand eskalierte. Ford-Lehrlinge sabotierten Ersatzmotoren für die Front. Andere schrieben Antikriegs-Parolen auf Eisenbahnzüge. Eine Gruppe warf im Kölner Hauptbahnhof von der Glaskuppel aus Flugblätter auf die Gleise.

In Ehrenfeld scharte der KZ-Flüchtling Hans Steinbrück 1943 Jugendliche um sich, die zuvor den Edelweißpiraten angehörten. Sie verbargen und versorgten Juden, Deserteure und Zwangsarbeiter. Mit Kriminellen verhökerten sie gestohlene Lebensmittel und bewaffneten sich. Ein Einbruch in ein Sprengstoffdepot misslang. Steinbrücks Idee: Er wollte die Kölner Gestapo-Zentrale sprengen. Der 15-jährige Jean Jülich aus Sülz beschaffte dafür ein Sprenggerät. Doch nach dem Mord an einem NS-Funktionär flog die Gruppe auf. Durch Folter brachte die Gestapo alles heraus. Jülich, heute 75, überlebte nur knapp. Am 10. November 1944 erhängte die Gestapo sechs Ehrenfelder Jugendliche, Steinbrück und einige Hehler – ohne Urteil und öffentlich zur Abschreckung.

Nach 1945 wurden die Ehrenfelder Opfer weiter kriminalisiert, die Morde gerechtfertigt. Der Widerstand auch der anderen Gruppen war tabu. Ende der 70er Jahre entbrannte zwar eine heftige Diskussion, war aber auf die Ehrenfelder Tragödie verkürzt und die vereinfachende Frage: „Kriminelle oder Widerstandskämpfer?“ Die Landesregierung folgte 1988 einem umstrittenen Gutachten und lehnte die Anerkennung als Widerstandskämpfer ab. Anders der Staat Israel, der 1984 Jean Jülich stellvertretend für die Edelweißpiraten als „Gerechten unter den Völkern“ auszeichnete.

Jülich ist befreundet mit Anneliese Knoop-Graf von der „Weißen Rose“. Zur unterschiedlichen Bewertung des Widerstands meint er: „Sie waren Akademiker und konnten nach dem Krieg vorgezeigt werden. Wir waren Arbeiterkinder und „Kraade“ (kölsch für Pöbel, d.A.), wir kamen ja aus der Gosse. Was erwarten die Leute eigentlich von 15-, 16-Jährigen, um es Widerstand zu nennen? Wir taten doch, was in unserer Macht stand!“

Die Stadt Köln hat auf öffentlichen Druck hin die Straße an der Hinrichtungsstätte nach Bartholomäus Schink, einem der Jugendlichen, benannt und die ehemalige Gestapo-Zentrale im EL-DE-Haus zur Gedenkstätte mit Dokumentationszentrum ausgebaut. Dort wird seit Jahren auch über die Edelweißpiraten geforscht. Historikerin Nicola Wenge erklärt: „Politisch setzen wir uns für ihre Anerkennung als Opfer des Regimes und ihre Rehabilitierung ein. Historisch muss man aber zwischen den Jugendgruppen der Edelweißpiraten und der Gruppe um Hans Steinbrück unterscheiden. Ob man das oppositionelle Jugendverhalten einerseits und die Aktivitäten der Steinbrück-Gruppe andererseits als Widerstand bezeichnen will, hängt von der zugrunde liegenden Definition ab.“ Die Nachkriegsdiskussion versteht sie aus der Zeit heraus, die damalige Verhärtung von Positionen bezeichnet sie als „schädlich“. Inzwischen, so Wenge, könne man jedoch differenzierter auf die Ereignisse blicken.

Diese differenzierte Sicht führt nun endlich zur Rehabilitierung, die durch ein Symposium, vom zuständigen Kölner Regierungspräsidenten angekündigt, erreicht werden soll. Überlebende und Hinterbliebene erlangen mehr als 60 Jahre nach der Hinrichtung in Ehrenfeld endlich die Genugtuung einer Anerkennung ihres Widerstands.

Gedenkveranstaltung für die Edelweißpiraten: 10.11., 18 Uhr, Treffpunkt Körnerstraße (ehemalige Synagoge), von dort zur Bartholomäus-Schink-Straße, ab 18.30 Uhr Kundgebung mit Zeitzeugen, Musik und Ausschnitten aus dem Film „Edelweißpiraten“