: Erfahrungsschatz im Handeln
Bei der Renaissance der Trödelmärkte zeigt sich der Osten als Trendsetter. Denn schon in der DDR wurde nichts weggeschmissen. Nun wird wieder Altes repariert – zur Freude der Ökologen
VON STEFAN RICHTER
Da sind sie wieder – die Trödelmärkte, Antiquitätenhändler, Gebrauchtwarenhändler, die An- und Verkäufe oder die Schrotthändler. Neueröffnungen gibt es nahezu in allen Teilen Berlins. Der Markt mit dem „Gebrauchten“ brummt. Allein rund um das Rathauscenter in Pankow sind ein halbes Dutzend Gebrauchtläden neu entstanden. Und der nächste ganz Große ist nicht weit – der Euro-Flohmarkt in der Berliner Straße mit über 5.000 Quadratmeter (Wieder-) Verkaufs- und Erlebnisfläche.
Wegwerfen gab es nicht in der DDR. Alles wurde gesammelt, getauscht oder verkauft. Kindersachen wurden weitergereicht, alte Nägel im Keller gelagert, Obst eingeweckt, Schlittschuhe über Generationen weitervererbt, und ging etwas über die Jahre kaputt, wurde es mehr oder weniger professionell repariert. Mangel war das Stichwort. Nach der Wende wurde der Mangel abgeschafft. Aus dem mehrstöckigen An- und Verkauf am Rosenthaler Platz wurde wenig später Beate Uhse und damit ein ganz neues L(i)ebe(n)sgefühl. Auch die kleineren Gebrauchtläden verschwanden schnell. Dagegen gab es Produkte, Produkte und nochmals Produkte. Aber nicht nur die Produkte waren sehr vielfältig, sondern auch die Qualität.
Viele aufstrebende Unternehmer schienen sich zu denken: „Je kurzlebiger meine Produkte, desto häufiger kommt der Kunde zu mir.“ Die Überflussgesellschaft zeigte sich von der verschwenderischsten Seite. Die Ossis lernten neben lange vermissten netten Produkten wie Geschirrspüler oder Bananen auch Irrsinn wie Einwegkameras kennen. Durch Werbung werden wir dazu angehalten, unsere Bäder monatlich neu zu fließen – es kostet ja fast nichts und wir können es uns ja leisten, noch leisten.
Schaut man sich die Welt an, stellt man jedoch schnell fest, dass der Mangel ein wesentlicher Teil unserer Erde ist – nur in der DDR war er eben für jeden sichtbar. Heute versucht die Wohlstandsmauer und die Weltwirtschaftsordnung unseren Blick zu verstellen. China und andere aufstrebende Länder lechzen jedoch nicht nur nach Öl, sondern auch nach vielen anderen Ressourcen wie Stahl. Die Weltstahlproduktion wird in diesem Jahr voraussichtlich erstmals die magische Grenze von einer Milliarde Tonnen überschreiten. Das führt schon jetzt dazu, dass in Berlin der Schrott knapp wird, der zur Stahlerzeugung benötigt wird. Schrotthändler reißen sich um unsere alten Waschmaschinen, Heizungen oder um unsere Altautos – wie in der DDR.
Ein Ende des Mangels ist nicht abzusehen – eigentlich logisch in einer endlichen Welt, in der die Wirtschaft immer nur wachsen soll und immer mehr Menschen konsumieren wollen. Dazu kommt in vielen Haushalten der zunehmende Mangel an Geld. Die neuen Trödelmärkte befriedigen aber nicht nur die ressourcensparenden Ökologen und die Schnäppchenjäger. Sie unterstützen auch ein anderes Lebensgefühl. Viele haben die anonymen Verkaufstempel satt.
Neuerungen bei Mobiltelefonen und Textverarbeitungsprogrammen interessieren schon lange nur noch die Hersteller. Andere wundern sich, dass Uromas Schrank immer noch stabiler und schöner ist als der kurz nach der Wende erworbene Qualitätsschrank. Sie verstehen jetzt, warum viele alte Schränke deutlich teurer sind als nagelneue. Das Alte bekommt wieder einen Wert, es ist individuell mit kleinen Schäden und passt damit viel besser zum Menschen.
Die Ossis haben einen reichen Erfahrungsschatz im Handel mit Gebrauchtem. Viele lehnen die Überflussgesellschaft ab. Sie wissen, dass es anderen viel schlechter geht. Doch auch die Ossis mussten lernen, dass ihre alten Erfahrungen einen Wert haben und zeitgemäß sind. Auf manche neue Erfahrung hätten sie dagegen gern verzichtet.
STEFAN RICHTER (39) ist Geschäftsführer der Grünen Liga in Berlin