: Die Sehenswürdigkeit von Altlandsberg
Weder Ossi noch Wessi, sondern Bundesbürger – wie Ravindra Gujjula als Inder die Attraktion einer brandenburgischen Kleinstadt wurde und die Wende erlebte. Seit 1993 Bürgermeister, engagiert er sich im Kampf gegen Rechtsextreme
ALTLANDSBERG taz ■ Als gebürtiger Inder, der 15 Jahren in der DDR und ebenso vielen in der vereinigten Bundesrepublik lebte, fällt es mir nicht leicht zu entscheiden, was ich heute bin. Ein Rückblick ist notwendig.
Meine Studentenzeit in der DDR war gekennzeichnet durch unzählige herzliche Beziehungen. Schon kurz nach meiner Ankunft 1973 hatte ich viele Freunde und Gastfamilien, bei denen ich auch Feiertage verbrachte. Das lag wohl auch daran, dass ausländische Studenten in der DDR nicht alltäglich waren. Die Menschen waren sehr wissbegierig, fragten mich nach Traditionen, Religionen und Sehenswürdigkeiten meines Heimatlandes. In all diesen Jahren hatte ich nie das Gefühl, fremd zu sein. So war es auch, als ich 1982 zur Facharztausbildung nach Altlandsberg bei Berlin kam. Wahrscheinlich war ich dort der erste Dunkelhäutige überhaupt. Bald war ich die Sehenswürdigkeit des Orts.
Am 10. November 1989 saß ich mit meiner Frau und meinen beiden Kindern beim gemeinsamen Frühstück. Im Hintergrund flimmerte der Schwarz-Weiß-Fernseher. Zuerst nahm ich die Bilder gar nicht wahr, bis ich endlich begriff: Jeder DDR-Bürger mit gültigen Ausweispapieren darf nun in die BRD reisen. Erst als ich im Krankenhaus war, konnte ich meiner Erregung Luft machen und mit den Kollegen über die geöffnete Grenze diskutieren. Zum ersten Mal erlebte ich, dass es auf allen Radiosendern – West wie Ost – den gleichen Inhalt in den Nachrichten gab. Uns hielt es nicht mehr im Krankenhaus. Mit einem Kollegen zog ich in Richtung Westen.
Am Nachmittag hatten wir uns durch die chaotischen Straßen Berlins zum Grenzübergang Scharnhorststraße gekämpft. Die Grenzer versuchten anfangs noch, die Ausweise zu kontrollieren. Doch schon nach kurzer Zeit gaben sie auf. Alle Tore wurden geöffnet, die Menschen strömten zur anderen Seite und wir waren mittendrin. In kurzer Zeit waren wir auf dem Ku’damm und besichtigten die großen Kaufhäuser. Ein Kind fragte die Mutter, ob es Spielzeug haben kann. Die Mutter flüsterte: „Das nächste Mal.“ Der Vater schrie: „Wir haben kein Westgeld!“ Eine leise Ahnung überkam mich, dass da noch eine Menge Probleme neben aller Freude über die Maueröffnung auf uns zukommen werden. Wir hatten Hunger, standen vor einer wohlriechenden Dönerbude, hatten aber keine einzige D-Mark in der Tasche.
Heute ist der richtige Zeitpunkt, um mein Dasein in der DDR und im vereinigten Deutschland zu analysieren. Nach inzwischen 22 Jahren in Altlandsberg weiß ich definitiv, dass diese kleine Stadt vor den Toren Berlins meine Heimat ist. Glücklich bin ich darüber, dass ich von meinen Mitmenschen als einer von ihnen akzeptiert worden bin. Dieses Gefühl ist mit keinem Sechser im Lotto zu vergleichen. Ich selbst bin inzwischen mit allen Rechten und Pflichten ein deutscher Staatsbürger. Auch mit meinen Gedanken bin ich Deutscher, weil die politische, ökonomische und soziale Situation in Deutschland mein Leben bestimmt. Als ehrenamtlicher Bürgermeister seit 1993 blicke ich mit großer Sorge auf die neuesten Wahlergebnisse in den Landtagen von Sachsen und Brandenburg. Die Erfolge der rechtsextremen Parteien NPD und DVU sind das, was mich einerseits beunruhigt, aber andererseits auch motiviert, gegen die rechte Gewalt zu kämpfen. Angriffe auf ausländische Mitbürger wie in Mölln oder Solingen müssen ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Dies wird auch in Zukunft mein politisches Handeln bestimmen.
So bin ich mir ganz sicher, dass ich heute weder Ossi noch Wessi bin, dafür aber ein Bundesbürger. RAVINDRA GUJJULA
Der Autor, 50, ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Altlandsberg