piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das tut mir weh“

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Waigel, wie fühlen Sie sich als „Vater des Stabilitätspakts“, wenn jetzt ausgerechnet Deutschland gegen die Auflagen verstößt?

Theo Waigel: Ich bin empört. Wir haben den Pakt 1997 mit den anderen Stabilitätsländern – den Niederländern, den Skandinaviern – durchgesetzt. Früher hat Deutschland zu den Stabilitätsländern gehört. Jetzt fällt Deutschland aus und es fehlt eine große, führende Nation, die voll für die Stabilität ficht.

Stirbt der Pakt?

Nein, er stirbt nicht. Jetzt tritt das ein, was ich damals schon gesagt habe: Der Stabilitätspakt ist der Schutz der kleinen Länder vor den großen. Dass jetzt eine unheilige Allianz zwischen Deutschland, Frankreich und Italien entsteht, ist kein Ruhmesblatt für die drei.

Heute oder morgen stimmen die EU-Finanzminister darüber ab, ob die Kommission Deutschland zum Sparen zwingen darf. Mischt sich die EU zu sehr in die nationale Budgethoheit ein?

Die EU mischt sich doch nicht ein! Sie hält sich genau an Buchstabe und Geist des Vertrages. Deutschland ist seinen Verpflichtungen, die es im eigenen Stabilitätsprogramm gemacht hat, nicht nachgekommen. Der deutsche Finanzminister hat permanent der EU – der Kommission und dem Rat – falsche Prognosen und Berichte geliefert. Jetzt darf er sich nicht wundern, wenn die Kommission genau das tut, was im Stabilitäts- und Wachstumspakt steht, nämlich: ihn zu veranlassen, seinen eigenen Verpflichtungen nachzukommen.

Noch 1997 haben Sie Italien als „Weichwährungsland“ verspottet – haben Sie nicht Angst, dass sich die Italiener nun mit ihrem Spott rächen? Gar gegen Deutschland stimmen?

Das wäre ja nur konsequent! Aber im Ernst: Es gibt eine italienische Korrespondentin in Deutschland, die ruft mich gelegentlich an und fragt mich nach den Finanzkennziffern in Deutschland im Vergleich zu Italien. Dann erkläre ich ihr: Okay, das italienische Wachstum ist höher als das deutsche – dafür ist das deutsche Defizit höher als das italienische. Dann bittet sie mich immer, das zu wiederholen. Dann sage ich: „Das wissen Sie doch“, und sie sagt dann: „Ja natürlich weiß ich das, aber es ist so schön, das aus Ihrem Mund zu hören, weil Sie uns in den 90er-Jahren so gequält haben.“

Wie gemein!

Aber sie hat ja nicht Unrecht! Das ist wirklich eine Schicksalsumkehrung, die ich nie erwartet hätte! Herr Eichel und Herr Schröder führen uns in ein Dilemma in Europa hinein. Und die merken gar nicht, was sie anrichten.

Was hat Herr Eichel falsch gemacht?

Er hat in den Jahren, in denen er mehr hätte konsolidieren müssen, nicht konsolidiert. Er hat das in den Jahren 1999 und 2000 nicht getan, als eine prima Konjunktur lief, er Steuernachzahlungen bekam und ihm die UMTS-Erlöse wie gebratene Tauben in den Mund flogen. Und: Er hat eine falsche Steuerreform durchgeführt.

Was kann Eichel denn jetzt tun, um die von der EU geforderten rund 4 Milliarden Euro zusätzlich einzusparen?

Er muss neben den Strukturreformen, die wichtig sind, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen und den Sozialsystemen ein großes föderales Konsolidierungsprogramm entwerfen und diese Einsparsumme aufbringen. Wenn er das tut, ist das ein positives Vertrauenssignal für Märkte und Investoren.

Konkret: Lässt sich die Steuerreform überhaupt noch vorziehen?

Ja, sie muss eben gegenfinanziert werden. Man darf keine Steuerreform auf Pump machen. Man muss die Bemessungsgrundlage verbreitern. Die andere Seite ist der Abbau von Subventionen. Man kann doch nicht in einer Woche erst sagen, die EU-Auflagen sind unerträglich, und danach dem deutschen Steinkohlebergbau eine sehr, sehr hohe Summe überweisen.

Wie sieht es aus mit Pendlerpauschale, Eigenheimzulage?

Bei beiden sehe ich ein Kürzungspotenzial. Auch die Zuschläge für Nachtarbeit, Schichtarbeit und Ähnliches dürfen nicht länger vom Steuerzahler getragen werden.

Eichel argumentiert so: Die Kommission müsse ja das Sanktionsverfahren nicht vorantreiben, wenn der Wille zum Sparen da ist – und dies sei ja in Deutschland der Fall. Denken Sie das auch?

Nein. Der Währungskommissar muss da ganz hart bleiben. Denn: Der Stabilitätspakt ist doch nichts anderes als das Gebot der Nachhaltigkeit in der europäischen Finanzpolitik. Übrigens war der Pakt damals, 1997, einem Teil der Opposition im Bundestag und im Bundesrat nicht hart genug. Deshalb ist es besonders schäbig, wenn er jetzt als „mechanistisch und unflexibel“ abgehandelt wird.

Also kein Geburtsfehler?

Nein! Im Gegenteil: Vor 13 Jahren waren viele Experten – wie Bundesbank und Sachverständigenrat – der Meinung, ein langfristiges Defizitziel von 1 Prozent reiche aus. Aber schon 1994/95 hat man erkennen müssen: Nein, wir brauchen einen ausgeglichenen Haushalt, ja sogar Überschüsse, um die Probleme der Bevölkerungsentwicklung und der sozialen Sicherungssysteme überhaupt lösen zu können. Deshalb: Wenn wir heute noch mal diskutieren müssten – wir würden ganz sicher keine weicheren Kriterien, sondern eher noch härtere Auflagen formulieren.

Aber die rot-grüne Regierung hat sich im Nachhinein ja auch selbst noch höherere Kriterien gesetzt. Statt auf 3 Prozent wollte sie ihr Haushaltsdefizit auf etwa 1 Prozent des Bruttosozialprodukts senken. War das nicht viel zu ehrgeizig?

Nein. Konsolidiert worden ist fast nur auf der Einnahmeseite, nicht auf der Ausgabenseite – das war das Problem. Angesichts eines Defizits von nur 1,3 Prozent im Jahr 2000 hätte man genügend Spielraum gehabt, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Das heißt, bei einer schwachen Konjunktur dann ein höheres Defizit in Kauf nehmen zu können, ohne die Maastricht-Grenze von 3 Prozent zu überschreiten. Das Problem bestand darin, dass man sich 2001 völlig unrealistischen Prognosen hingegeben hat – anstatt auf die Warnungen von IWF und EU-Kommission zu hören.

Herr Waigel, mal abgesehen von Ihrem Wunsch, den Stabilitätspakt so zu lassen, wie er ist – fürchten Sie nicht insgeheim, dass er mehr und mehr diskreditiert wird?

Natürlich ist das nicht schön, was Deutschland und Frankreich mit dem Pakt machen. Umso mehr finde ich es aber beachtlich, wie Währungskommissar Pedro Solbes und auch einige kleine Länder ihn verteidigen. Und: Er wirkt doch auch durch seine Existenz! Man würde sich sonst heute in Portugal nicht über das deutsche Defizit aufregen und in Deutschland nicht über das portugiesische Defizit diskutieren. Insofern erzeugt der Stabilitätspakt eine Stabilitätswirkung und eine Stabilitätskultur, wie es sie früher nicht gegeben hat.

Noch im Frühjahr hat Solbes den deutschen Finanzminister noch gelobt – jetzt sind die beiden heftig aneinander geraten. Wie erklären Sie sich das?

Bei Solbes war das Prinzip Hoffnung da, dass Eichel endlich mal erfüllt, was er in Brüssel verspricht. Nicht Solbes hat seine Meinung geändert, sondern Eichel muss von Monat zu Monat in immer kürzeren Verfallszeiten seine eigenen Prognosen ändern. Dass das irgendwann einmal einem Kommissar zu bunt wird, das ist natürlich.

Liegt das nicht vielleicht auch daran, dass Deutschland sich so entschieden auf die Seite von Frankreich gestellt hat, das ja auch Haushaltsprobleme hat?

Darin liegt ein Stück Tragik: Normalerweise finde ich es hervorragend, wenn die beiden Länder eng zusammenarbeiten. Wenn sie aber gleichzeitig sündigen, dann ist das weniger schön.

Wozu braucht man den Stabilitätspakt überhaupt noch? Der ganzen Debatte zum Hohn steigt und steigt der Euro doch ganz von selbst.

Dass der Euro steigt, spiegelt eben die Außenrelation zum Dollar wider. Die USA haben Defizitprobleme. Der Stabilitätspakt gehört aber nach wie vor zu den Grundvoraussetzungen. Wenn man eine starke Währung will, müssen auch die öffentlichen Finanzen in Ordnung sein.

Sie haben sich immer stark für den Europa-Gedanken ausgesprochen. Bedeutet die Stabilitätsdebatte einen Rückschritt für die europäische Integration?

Ja. Sie treibt einen Keil zwischen die großen und die kleinen Länder. Die kleineren sind zu Recht empört und verbittert. Das tut mir weh, weil wir alles darangesetzt haben, den kleinen Ländern den richtigen Eindruck zu vermitteln, dass sie in der Europäischen Union voll gleichberechtigt sind. Wenn man jetzt über die fabelhaften Stabilitätsbemühungen der Kleineren hinweggeht und Portugal abstraft, Irland abstraft, aber sich bei Deutschland und Frankreich nicht traut, dann gibt es einen Riss in der Europäischen Union.