: Stoibers Reise ins Wachstumsland
Industrieverband will, dass künftig auch am Sonnabend gearbeitet wird. FDP und Union sind ebenfalls dafür
BERLIN taz ■ „Der Samstag läutet uns zur Ruh’, er schließt das Wochenhäuschen zu.“ Mit diesem Reim im Gepäck verlassen Kinder am Freitagnachmittag ihren Kindergarten Richtung Wochenende. Ginge es nach Diether Klingelnberg, Vizechef des Bundes der deutschen Industrie (BDI), bliebe künftig das Wochenhäuschen auch samstags geöffnet. „Es muss den Betrieben möglich sein, bei Bedarf auch an Samstagen normal zu arbeiten“, so Klingelnberg zur Bild. Und weil die PR-Gelegenheit so günstig schien, legte er gleich nach: „Deshalb sollte das Arbeitszeitgesetz abgeschafft werden.“
Dieses Gesetz ist erfreulich klar: „Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.“ Selbstredend gibt es jede Menge Ausnahmeregelungen, etwa für medizinisches Personal, aber auch für Schauspieler. Und selbstredend arbeiten viele Menschen längst am Wochenende. Aber wenn sich die Gelegenheit bietet, an den Arbeitnehmerrechten zu schrauben, melden sich die üblichen Verdächtigen zu Wort. Auch die FDP. „Wir brauchen die 40-Stunden-Woche mit flexiblen Arbeitstagen“, sagte deren Wirtschaftsexperte Rainer Brüderle.
Postwendend hat sich gestern der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in die Diskussion um eine Arbeitszeitverlängerung im Westen eingeschaltet. DGB-Vize Heinz Putzhammer bezweifelte die von Bundesregierung und Opposition diskutierten Auswirkungen auf Wachstum und Mehreinnahmen für den Haushalt. „Zu glauben, mit genereller Arbeitszeitverlängerung würde irgendein ökonomisch messbarer Effekt erreicht, ist ein Irrtum“, so Putzhammer. Derlei falle in den Bereich der „Voodoo-economics“. Das gelte vor allem im Hinblick auf die schon jetzt hohe gesamtwirtschaftliche Produktion bei anhaltend schwacher Binnennachfrage und hoher Arbeitslosigkeit.
Auch Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD) stellte gestern den Zusammenhang zwischen Wachstum und längerer Arbeitszeit in Frage. Für mehr Wachstum greife die Forderung nach längerer Arbeitszeit zu kurz, so Schartau im WDR. Und der SPD-Arbeitnehmerflügel erinnerte daran, dass die tatsächlichen Arbeitszeiten „deutlich über den tariflichen“ Zeiten lägen. Schon jetzt böten viele Tarifverträge ein hohes Maß an Flexibilität, „die häufig überhaupt nicht genutzt“ werde, sagte der SPD-Arbeitsmarktexperte Ottmar Schreiner.
Das Hickhack um Feiertage, Arbeitszeitverlängerung und nun auch noch Samstagsarbeit hat zumindest eines bewirkt: eine breite gesellschaftliche Diskussion. Auf Antrag der Union soll der Bundestag noch in dieser Woche das Thema in einer aktuellen Stunde diskutieren. Das kündigte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos am Dienstag in Berlin an. Eine weitere Gelegenheit, sich wahlweise als Bedenkenträger oder harter Hund zu profilieren. CSU-Chef Edmund Stoiber deutete gestern schon mal an, wo die Reise für ihn hingeht: „Mehr Arbeit bringt mehr Wachstum“, sagte er gestern nach der Kabinettssitzung in München. ANJA MAIER