: Das Doppelspiel des Präsidenten
VON FRANÇOIS MISSER
Es herrscht Ruhe in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste, doch wie wenig haltbar sie ist, zeigen die Ereignisse der letzten Tage. Nach den massiven Ausschreitungen der regimetreuen „patriotischen“ Milizen gegen Franzosen am Wochenende hatte Präsident Laurent Gbagbo am Sonntagabend zur Ruhe aufgerufen, doch schon am Montagnachmittag standen sich unweit der Residenz des Staatschefs wieder Milizen und französische Soldaten gegenüber. Der Staatsrundfunk hatte die „Patrioten“, die sich vor allem aus jugendlichen Anhängern von Gbagbos Partei FPI (Ivorische Volksfront) rekrutieren, dazu aufgerufen, einen „menschlichen Schutzschild“ zu bilden, um „den Präsidenten zu schützen“. Noch reichten den Soldaten Schüsse in die Luft, um die Milizen auseinander zu treiben.
Die Ereignisse in der Elfenbeinküste seit der Wiederaufnahme des Bürgerkrieges durch die Regierung Gbagbo am vergangenen Donnerstag haben einige unumkehrbare Fakten geschaffen. Die Allparteienregierung, die das Gbagbo-Lager, zivile Opposition und Rebellen des Landes seit 2003 vereinte und die Elfenbeinküste zu freien Wahlen 2005 führen soll, existiert nicht mehr. Im Oktober hatte sich bereits die FPI zurückgezogen, dann boykottierten auch die Oppositionsparteien und die Rebellen das Kabinett. Die Zentralen der wichtigsten Oppositionsparteien PDCI (Demokratische Partei der Elfenbeinküste) und RDR (Republikanisch-Demokratische Sammlung) in Abidjan sind zerstört worden, ihre Aktivisten werden von den Milizen gejagt. Jede Hoffnung auf politische Versöhnung ist vorerst dahin.
Gbagbos Regierung ist zudem international komplett isoliert. Drei Tage lang schickte sie Ende letzter Woche ihre Luftwaffe zu Bombenangriffen gegen die wichtigsten Städte im von den Rebellen kontrollierten Norden, mit dem Ergebnis dutzender Toter und Verletzter. Nachdem dabei auch französische Soldaten getroffen worden waren, zerstörte die französische Armee in der Hauptstadt Yamoussoukro kurzerhand die komplette Luftwaffe. Der UN-Sicherheitsrat beriet am Dienstag einen französischen Resolutionsentwurf über ein Waffenembargo und andere Sanktionen gegen die Elfenbeinküste.
Die neun französischen Soldaten, die bei den Luftangriffen ums Leben kamen, werden heute in Paris in Anwesenheit Chiracs beigesetzt – ein Symbol des irreparablen Bruchs zwischen Frankreich und der Regierung seiner wichtigsten afrikanischen Exkolonie. Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie wies die Behauptung des ivorischen Armeesprechers Jules Yao Yao zurück, wonach die französische Militärbasis bei Bouake „aus Versehen“ bombardiert worden sei, und sagte, es sei unmöglich, die Basis mit einem feindlichen Ziel zu verwechseln. Paris glaubt nicht, was die Gbagbo-Regierung ihr sagt, und erklärt das auch noch öffentlich – ein diplomatisch höchst ungewöhnlicher Akt.
Dass der ivorische Präsident ein Spielzeug in der Hand von Extremisten ist, glaubt Paris auch nicht. Dort wird davon ausgegangen, dass die Regierung einen klaren Plan zur Rückeroberung der Nordhälfte der Elfenbeinküste hat, die seit September 2002 von Rebellen kontrolliert wird. Denn Gbagbo hat in den letzten Monaten massiv aufgerüstet. In Russland, China und Israel wurden Panzer, Raketenwerfer und Sturmgewehre bestellt. Und in der Ukraine kaufte das Regime Bomber des Typs Sukhoï 25 und Kampfhubschrauber der Typen MI 24 und MI 8. Geflogen werden sie mangels ausgebildeter ivorischer Kampfpiloten von Söldnern, rekrutiert von der Firma IVH Trading eines gewissen Sergei Nikolajevitsch Kiritschuk, die der britische Außenminister Jack Straw bereits vor einem Jahr davor gewarnt hatte, für Gbagbo zu arbeiten. Es scheint also, als betreibe Gbagbo seit den Friedensabkommen von Januar 2003 parallel die militärische Option. Der Präsident hat sich auch nie von seinen besonders radikalen Anhängern distanziert, zum Beispiel Parlamentspräsident Mamadou Koulibaly, der Frankreich am Sonntag vorwarf, die ivorischen Rebellen bewaffnet zu haben, und ein „Vietnam“ androhte.
Gbagbo spielt in den Augen der Franzosen ein Doppelspiel: Gegenüber der internationalen Öffentlichkeit äußert er sich moderat, aber die eigene Entourage lässt er Fanatiker aufhetzen. Seine Ehefrau Simone Ahivet, eine wiedergeborene christliche Fundamentalistin und Fraktionsvorsitzende der FPI, gilt dabei als Schlüsselfigur. UN-Untersuchungen zufolge steht sie den Führern der „patriotischen“ Milizen und Todesschwadronen nahe, die seit 2002 hunderte von Oppositionellen, Immigranten und Angehörigen nordivorischer Ethnien in Abidjan umgebracht haben. Gbagbo selbst, der seine politische Karriere als Linkssozialist begann, mauserte sich in den letzten Jahren zum ausländerfeindlichen Ideologen, der den früheren Regierungen des Landes vorwarf, das Land an Fremde verkauft zu haben.
Aus der Sackgasse, in die Gbagbo sein politisches Lager geführt hat, ist zurzeit kein Ausweg zu erkennen. Eine personelle Alternative innerhalb der FPI ist nicht in Sicht. Starke Strömungen innerhalb der Partei verlangen vom Präsidenten, das Friedensabkommen mit den Rebellen offiziell für tot zu erklären. Selbst ein Sturz Gbagbos würde die radikale Linie der FPI, die jeden Kompromiss ablehnt und offenen Rassismus gegenüber allen „Fremden“ predigt, nicht zum Verstummen bringen.
Nur mit dem Militär verband sich bis vor kurzem die Hoffnung, dass es moderater ist als die Milizen und diese im Zaum halten könnte. Aber nach dem Beginn der Luftangriffe war es Armeechef Mathias Doué selbst, der vor einer Versammlung von Milizionären begeistert ausrief: „Über den Rebellen bricht die Nacht herein.“
Auf den ersten Blick scheint der Angriff der Armee auf die französische Eingreiftruppe selbstmörderisch gewesen zu sein. Aber tatsächlich ähnelt er einem Pokerzug: Die Franzosen sollten eingeschüchtert, die französische Zivilbevölkerung in Abidjan als Geisel genommen werden, um ein militärisches Eingreifen zu erschweren – eine Pattsituation, in der das Regime militärische Fakten schaffen wollte. Nun haben die Franzosen unerwartet schnell reagiert und setzen auf eine harte Linie der internationalen Gemeinschaft.
Bleibt die Frage, auf wen die internationale Gemeinschaft setzen kann. Eine alternative „Regierung der Nationalen Einheit“ ist nicht in Sicht. Die Rebellen im Norden des Landes verlangen kompromisslos zuerst den Rücktritt Gbagbos. Vielleicht steht dieser Tag jetzt tatsächlich vor der Tür.