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Archiv-Artikel

Die Bayern des Nordens

In seiner Rede zur Energiepolitik vor einer studentischen Verbindung in Göttingen beklagt sich Niedersachsens Umweltminister vor allem über eins: zu viel Ideologie

Göttingen taz ■ Die studentische Verbindung hatte geladen, der liberale niedersächsische Umweltminister kam. Vor handverlesenem Publikum also sprach Hans Heinrich Sander (FDP), Mitglied der Landsmannschaft Verdensia Göttingen, am Dienstagabend zu dem Thema „Energieversorgungssicherheit in Deutschland – Chancen für junge Hochschulabsolventen.“ Vor interessierten Bundesbrüdern forderte Sander erneut eine Renaissance der Kernenergie.

Gekreuzte Degen an der Wand, rustikales Mobiliar im Raum, Ansammlungen von kleinen Mitgliederporträts allerorten – die gediegenen Räumlichkeiten der studentischen Verbindung Verdensia Göttingen lassen kaum den Auftritt eines Liberalen vermuten. Alle Zuhörer tragen die obligatorische Schärpe um den Oberkörper, wenige die markanten Mützen der studentischen Verbindung. Seit 1860 besteht die Landsmannschaft, die dem Coburger Convent, einem farbtragenden und pflichtschlagenden Verband zahlreicher Studentenverbindungen angehört.

Überraschenderweise spricht der Minister zunächst sein Bedauern aus, dass keine Frau ihren Weg in die reine Männergesellschaft gefunden hat. „Bloß nicht!“, echauffiert sich lauthals eines der altgedienten Mitglieder, das schon vorab gefordert hatte: „Na, Hans, dann setz mal deinen Ökoblick auf.“

Das tat der Politiker dann aber nur bedingt. „In der Öffentlichkeit wird der Umweltverträglichkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz einzelner Energieträger ein höherer Stellenwert beigemessen als der Versorgungssicherheit“, referierte Sander. Nach Angaben des Umweltministeriums beruhte die Bruttostromerzeugung im Jahr 2002 in Niedersachsen zu 62 Prozent auf Kernenergie. Die von der Bundesregierung anvisierte Stilllegung der Kernkraftwerke hält der Minister deshalb, obschon er sich nicht als Verfechter der Kernenergie bezeichnen will, für problematisch: „Deutschland isoliert sich. Während in anderen Ländern über eine Renaissance der Kernenergie nachgedacht wird, bleibt man hier ideologisch geprägten Vorstellungen verhaftet.“ Und das nicht nur im Bereich der Kernenergie. Sander hat weitere ideologieverklärte Umweltfelder ausgemacht.

So werden in einigen Proberegionen Niedersachsens „Gelber Sack“ und „Graue Tonne“ bald nicht mehr von den VerbraucherInnen getrennt. „Das geht maschinell viel besser, eine Hausfrau kann das doch gar nicht bewerten“, weiß der Minister und krittelt weiter, dass ihm keiner erkläre, weshalb er sein Bier besser aus der PET- als aus der Glasflasche trinke. Für Sander zeigt sich auch hier „reine Ideologie“.

In der abschließenden Diskussionsrunde freut sich der Minister dann: „Hier kann man wenigstens ordentlich diskutieren. In Gorleben müsste man gleich wieder brüllen.“ Keine gute Grundlage, um das ehrgeizige Ziel Sanders zu erreichen: „Wir wollen das Bayern des Nordens werden“ – wirtschaftlich betrachtet.

Holger Schleper