: Querbeet, aber gesittet
Studierende in ganz Deutschland wehren sich gegen das Zurechtstutzen ihrer Unis – mit ganz unterschiedlichen Motiven
von CHRISTIAN FÜLLER und MAXIMILIAN HÄGLER
Hat er gebangt? Oder blieb Thomas Goppel (CSU) cool? Mehr als 20.000 Studierende protestierten in München einen Steinwurf vom Amtssitz des neuen bayerischen Wissenschaftsministers entfernt. Drinnen konnte man die Trillerpfeifen der Studis hören. „Das Ablassen von Frust bringt uns keinen Schritt weiter“, ließ Goppel nach draußen übermitteln. „Wir brauchen einen konstruktiven Dialog.“ Kein Wunder. Keiner konnte damit rechnen, dass so viele Studenten so laut gegen das Zurechtstutzen ihrer Unis opponieren würden.
Das war vergangenen Donnerstag und so etwas wie der Startschuss für die Studentenproteste 2003. Dabei hat das alles längst begonnen – im Kleinen und sehr zersplittert. In Hannover gingen vor zwei Wochen 18.000 StudentInnen gegen das Dichtmachen von Hochschulen und den Abbau von Studienplätzen auf die Straße, organisiert von der Mini-Fachhochschule in Hildesheim (siehe Interview unten). In Halle waren es am Donnerstag 8.000, in Magdeburg 5.000, in Berlin 4.000.
„Die Studenten verstehen nicht, dass derzeit in allen Bundesländern Kürzungen für die Hochschulen beschlossen werden“, meint Nele Hirsch vom „Freien Zusammenschluss der Studierendenschaften“ (fzs). Richtig genervt und verängstigt aber seien sie von den Plänen für Studiengebühren. Praktisch jeder Wissenschaftsminister hat sie, als echtes Bezahlstudium oder als Langzeitgebühr, in der Schublade. „Da machen wir einfach nicht mit“, sagt die 23-jährige Studentin bestimmt.
Ob sie damit den Nerv der Studentenbewegung wirklich trifft, wird sich erst kommendes Wochenende an der Friedrich-Schiller-Uni Jena zeigen. Da hat der fzs einen lange geplanten Rückblick auf die deutsche Geschichte der Studentenproteste kurzerhand in ein Koordinierungstreffen umfunktioniert. „Es wird auch Zeit, dass wir uns jetzt mal zusammensetzen“, freut sich Anja Worm (21) vom Studierendenrat aus Halle.
Die Gründe für die Boykotte, die Institutsbesetzungen und die Demos sind immer andere, aber sie laufen alle auf das gleiche Muster hinaus. Die Hochschulszene, ob Professoren oder StudentInnen, ist empört, dass auch sie für die Beseitigung der Finanzkrisen in den Ländern herhalten muss.
„Ich sehe mit Besorgnis, dass die Studenten Recht haben“, zeigt Peter Gaethgens, Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Verständnis für die jungen Kommilitonen. Gaethgens nennt die öffentlichen Treueschwüre der Politik zugunsten von Bildung und Wissenschaft nur noch entnervt Sprechblasen. „In Wahrheit hat die Politik nicht begriffen, dass Investitionen in Hochschulen ein zentrales Moment von Innovationspolitik sein müssen“, sagt der Präsident der 300 deutschen Rektoren.
Der Blick in die Länder zeigt so etwas wie einen Flächenbrand der Hochschulkürzungen. Weil sie die nach dem Pisa-Skandal für sakrosankt erklärten Schulbudgets nicht anknapsen dürfen, langen die Finanzminister bei den Unis hin: Berlin minus 75 Millionen Euro, Sachsen-Anhalt minus 28 Millionen, Niedersachsen minus 40 Millionen, Bayern pauschal zehn Prozent. Nur die Fristen für die Einsparungen unterscheiden sich ein bisschen (s. Kasten).
Der Protest verläuft, bislang, gesittet. Gestern konnte der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, seinen Studenten eineinhalb Stunden lang auseinander setzen, wie er die drastischen Kürzungen (20 Millionen Euro bis 2009) umzusetzen gedenkt. Kein Student unterbrach. Auch Bayerns Wissenschaftsminister Goppel erläuterte gestern seine Sparpläne an der Uni Regensburg ohne Störungen. Eine Trauerwache von 500 Studenten ließ er über sich ergehen, gegen eine symbolische Sargniederlegung verwahrte er sich.
„Es sind ziemlich viele, und sie kommen querbeet aus allen Fachrichtungen“, beschreibt Halles Studentensprecherin Anja Worm die Protestierer. In München ist es nicht anders. „Ich finde es ein Unding, dass man bei uns sparen will – der bayerischen Zukunft“, bemerkt Jurastudentin Anna in der Münchner Demo. Die 24-Jährige fühlt sich durch die Kürzungen in ihrer Karriereplanung gestört. Nur Schritte von ihr entfernt läuft Literaturstudent Martin. Er hofft, dass die „Studenten jetzt politisiert werden. Wir sollten auch gegen die Kürzungen im sozialen Bereich kämpfen.“
Das wird nicht einfach sein. Dafür hat sich die Gebührenfrage zu sehr entwickelt. Sie trennt nicht nur Professoren wie den Befürworter Gaethgens und Studenten. Auch die Studierenden selbst sind gespalten. Für den Demo-Aufruf in München hatten die Fachschaftsvertreter der dortigen TU eine eigentümliche Bedingung gestellt. Wir machen nur mit, wenn es nicht gegen Studiengebühren geht. Sonst, so die Begründung, würde der Protest von Anfang an geschwächt.
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