: Sing mir den Osten!
Was im musikalischen Biotop DDR gedieh und was einging – ein Arte-Themenabend über „Rock ’n’ Roll und rote Fahne“ (ab 22.15 Uhr)
VON THOMAS WINKLER
Die DDR war das Land der Singebewegung und des Schallplattenunterhalters, das Land, in dem man für Jazz und später Punk in den Knast gehen konnte, die DDR war, man muss es einfach mal sagen, nicht zuletzt das Land der Puhdys. Doch es gab ihn, diesen einsamen Moment, in dem die DDR musikalisch doch mal vorneweg war. Er kam, dieser Moment, als die staatseigene Amiga als allererstes Plattenlabel in Nachkriegsdeutschland amerikanischen Swing lizensierte. Die BRD eingeholt, ja sogar überholt.
Der Rest der Geschichte der DDR aber war Hinterherhecheln. Dieses popmusikalische Abarbeiten an westli- chen Vorgaben stand schon quasi automatisch in direkter Opposition zur Staatsführung und deren spießig-sozialistischen Vorgaben. Auf die Spuren dieses Spannungsverhältnisses begibt sich der Arte-Themenabend „Rock ’n’ Roll und rote Fahne“ und vor allem sein zentraler Teil, die Dokumentation „Soundtrack Ost“ von Kathrin Aehnlich und André Meier.
Streng chronologisch erzählen sie die Geschichte des Pop im Arbeiter-und-Bauern-Staat vom Jazz der Gründerjahre über Beat und Rock ’n’ Roll bis zu Punk und dem Ende der DDR. Viel oft Gesehenes wird dazu gezeigt, aber auch einiges, was in liebevoller Kleinarbeit in den Archiven ausgegraben wurde. Die Materialfülle ist erstaunlich, der Off-Kommentar zwar manchmal wenig analytisch, aber die Interviews mitunter umso entlarvender.
So ist sich Puhdys-Gitarrist Dieter Hertrampf nicht zu blöde, dem ausgebürgerten Kollegen Klaus Renft in saturierter Siegerpose hinterherzutreten: „Wenn sie unbedingt Revoluzzer spielen wollen, dann müssen sie halt mit den Konsequenzen leben.“ Geschickt werden die Aussagen von Funktionären wie Ex-Ministerpräsident Hans Modrow und dem Singebewegungs-Mastermind und späteren FDJ-Funktionär Hartmut König in Kontrast gesetzt zu denen von ihren Entscheidungen betroffenen Musikschaffenden wie Frank Schöbel und Achim Mentzel, Nina Hagen oder Flake Lorenz, der in den letzten Tagen der DDR in der Punkband Feeling B reüssierte und nun mit Rammstein glücklich im Westen angekommen ist.
In der Montage von Archivaufnahmen und Interviews verwischen schnell die Unterschiede zwischen Tätern und Opfern, entsteht das Bild eines Musikgeschäfts, das dem steten Wechsel zwischen repressiver Gängelung und erdrückender Umarmung durch die Partei ausgesetzt war und ebenso ständig schwankte zwischen Auflehnung und Arrangement mit der Macht.
So ist „Soundtrack Ost“ keine Musikdokumentation im eigentlichen Sinne. Kein einziger Song wird ausgespielt, musikalische Entwicklungen nur am Rande diskutiert. Aehnlich und Meier lesen die Geschichte der ostdeutschen Popmusik vor allem als die Geschichte von Kunst als Instrument und Spielball der Politik. Dass bei diesem Anspruch und beim Untertitel „Macht und Musik in der DDR“ ausgerechnet Wolf Biermanns Ausbürgerung in 90 Minuten mit keinem einzigen Sterbenswörtchen erwähnt wird, ist zumindest diskutierbar, denn schließlich war die DDR auch und nicht zuletzt das Land der Liedermacher.
Musikalisch immerhin ist der Verzicht auf Biermann und Konsorten allerdings eine höchst begrüßenswerte Entscheidung.