: Klingende Bewegung
Regisseur Thomas Bischoff setzt in seiner „Antigone“-Inszenierung am Bremer Theater auf die Musikalität des Textes
Betrachtet man die „Antigone“ als Bericht einer Supervision, mag dies ein möglicher Schlüssel zu Thomas Bischoffs Regiearbeit sein. Seine Ausstatterin Uta Kala hat dem uralten Begräbnisproblem der Antigone – ob sie ihren im Kampf um Theben unterlegenen Bruder beerdigen darf – ein auswegloses Geviert verpasst. Eine schwarze Wand linker Hand und ein angedeutetes Palastportal aus glänzendem Stahlblech rechts umfassen einen Raum, in dem sich alles abspielen muss. Keiner kommt mehr rein, keiner mehr raus, nachdem das Konfliktlösungsseminar im Bremer Theater begonnen hat.
Durch den Verzicht auf Auftritte und Abgänge unterstreicht Bischoff einmal mehr sein Grundvertrauen in die Texte. An denen er sich abarbeitet, indem er aus ihnen zerklüftete, widersprüchliche und ungeheuer musikalische Sprachgebilde generiert.
Im Falle der „Antigone“ greift er auf Hölderlins Übertragung zurück, eine minutiös gearbeitete Version des alten Stoffes, der die Intimität familiärer Bande und die Brutalität der Konflikte miteinander verschränkt. In einer der wenigen „Spielszenen“ legt Kreon Hand an Antigones Hals, die Verurteilung andeutend. Sie nimmt diese Hand, nachdem er sie wegnahm, und führt sie in einer erotisch aufgeladenen Umkehrung sanft an den eigenen Hals zurück.
Wie in eine Endlosschleife verbannt, stehen Antigone und ihre Schwester Ismene, Kreon nebst Gattin Eurydice und der Seher Tiresias in rötlichem Granulat. Das bringt die sparsamen Bewegungen schön zum klingen und erinnert zugleich an das Blut, auf dem sich die Polis entwickelt. In Demut knien Bote und Gattin vor dem König nieder, schreiten, begleitet vom sachten Scharren der Füße durch den ‚Gerichtshof‘. „Was gibt’s Neues?“, fragt Kreon zu Beginn. Und langsam wird ein Bezug deutlich, der Tiresias’ Warnung „nach deinem Sinn erkrankt die Stadt“ aus dem vierten Akt kurzschließt mit Antigones Klage vom Verlust der Brüder.
Es sind Textverschiebungen dieser Art – hier ist es Kreons Frau, die mit Wort und Hand auf Antigones Gesetzesübertretung zeigt –, mit denen Bischoff den Grundkonflikt verdichtet, wie um eine chemische Reaktion größeren Ausmaßes herbeizuführen. Hier kulminiert alles in Kreons anklagendem Warum, das Antigone, mehrfach, mit schneidendem „darum!“ beantwortet: „das Recht der Todesgötter, die unter Menschen das Gesetz begrenzet.“
Autistisch sitzt derweil Irene Kleinschmidt als einsamer Chor auf einer Schräge. Sie lacht in sich hinein, lässt kleine rote Körnchen das blanke Metall herunterrollen. Dem Chor ist, so scheint’s, die Funktion abhanden gekommen. Was immer er kundtut, es ist schon geschehen. Beratungs- oder Einwirkungsmöglichkeiten tendieren gen Null. Leise beweint er „Glückselige solcher Zeit, da man nicht schmecket das Übel“. Ein Minimalkonsenz, der auf die Abwesenheit von Gewalt nicht mehr hofft. Leise singend, summend webt Kleinschmidt die schmerzliche Chorstimme ins klangliche Geschehen.
An solchen Punkten erhellt sich Bischoffs präzise Spracharbeit. Auch wenn die Schauspieler sich nicht über volle Distanz dem Sprachspiel unterordnen, bleibt der faszinierende Eindruck, einer musikalisch ausgefeilten und weitgehend stimmig raumgreifenden szenischen Lesung beigewohnt zu haben. Dabei erweisen sich Aktualität und Allegorie als äußerst langfristige gedachte Begriffe. Aber in Ruhe mitdenken darf ja auch mal sein.
Tim Schomacker
Nächste Vorstellungen: 18., 20. und 27. November, jeweils um 20.00 Uhr.