: Eitle Hexen und Nachtgetier
Bedeutender Vorläufer der Moderne: Francisco de Goyas Radierungs-Zyklus „Caprichos“ in der Kunsthalle
Übellaunig, kritisch-spöttisch schaut der Künstler unter einem schwarzen Zylinder hervor: Es ist das Selbstporträt, das am Anfang der 80-teiligen Serie der Caprichos steht. Die Caprichos sind, wie die Anzeige im Diario de Madrid ausführt: „Eine Sammlung von Drucken launiger Themen, erfunden und radiert von Don Francisco Goya.“ Weiter ist dort am 6. Februar 1799 zu lesen: „Weil der Autor überzeugt ist, dass die Kritik menschlicher Irrtümer und Laster ... auch Gegenstand der Malerei sein kann, hat er als angemessene Themen für seine Arbeit aus der Vielzahl der Extravaganzen und Torheiten, die jeder menschlichen Gesellschaft gemeinsam sind, und unter den vulgären Vorurteilen und Betrügereien, wie sie durch Gewohnheiten, Unwissen und Eigennutz sanktioniert sind, jene ausgewählt, die er für besonders geeignet hielt, ihm Stoff für das Lächerliche zu liefern und gleichzeitig die künstlerische Phantasie anzuregen“. Die Blätter sind jetzt in der Kunsthalle zu sehen.
Goya platzierte die 80-teilige, höchst kritische Serie von Radierungen ohne jeden Auftrag am Markt. Obwohl als Hofmaler vor dem direkten Zugriff der Inquisition geschützt, konnte er in den nächsten vier Jahren nur 27 Exemplare der Dreihunderter-Edition absetzen. Schließlich schenkte er 1803 die Kupferplatten König Karl IV. und erhielt dafür eine Leibrente für seinen Sohn Xavier – ein merkwürdiges Geschick für dieses wichtige Bilddokument der Aufklärung. In der Nachtseite menschlicher Dummheiten schwelgend, wurden Goyas Bilder ein oft zitierter Vorläufer der Moderne.
Besonders bekannt ist das ursprünglich geplante Titelblatt, jetzt Nummer 43 der Caprichos, mit dem Titel „Der Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer“. Es zeigt den am Tisch eingeschlafenen Künstler, der von allerlei Nachtgetier bedrängt wird. Wie in einer Alptraum-Collage wimmelt es in den oft düsteren Szenen der Caprichos von eitlen Hexen, aristokratischen Eseln, männerrupfenden Dirnen, korrupten Richtern, bigotten Mönchen und schlauen Affen: eine Art satirischer Beschwörung aller bösen Geister des Aberglaubens und des nicht nur damals herrschenden Machtmissbrauchs. Doch mit dem letzten Blatt beginnt eine neue Epoche: Über der Schriftzeile „Es ist Zeit“ zeigt es einige Mönche, die feststellen, dass sie den Tagesanbruch einer neuen Zeit verschlafen haben. Hajo Schiff
Francisco de Goya: Caprichos, Kunsthalle, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 28.3.2004