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EU-Verfassung: Einen Schritt vor, zwei zurück

Kompromissvorschlag fordert Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik, schwächt aber Rolle des Außenministers

BRÜSSEL taz ■ Jeder Klimaforscher weiß, dass die Änderung eines einzigen Parameters genügt, um zu einem völlig anderen Ergebnis zu kommen. Ähnliches gilt für die europäische Politik. Beim Konklave der EU-Außenminister heute und morgen in Neapel wird das Tagungsklima von so vielen Faktoren beeinflusst, dass niemand Prognosen über das Ergebnis wagen möchte.

Am Mittwochabend trafen sich französische und deutsche Beamte mit britischen Kollegen, um einen Vorschlag für ein eigenes militärisches Strategiezentrum außerhalb der Nato auszuarbeiten. Ob es Chancen hat, steht nach dem deutsch-französischen Auftreten im Defizitverfahren in den Sternen. „Es gibt derzeit richtiges Misstrauen, vor allem gegenüber Paris und Berlin“, meint ein EU-Diplomat.

Immerhin sagen Deutsche und Franzosen deutlich, wie sie sich künftig die gemeinschaftliche Verteidigungspolitik vorstellen. Dagegen gibt der britische Zickzack-Kurs Rätsel auf. Tony Blair versucht, in den Schoß der EU-Familie zurückzukehren, ohne den warmen Platz im Weißen Haus aufzugeben – kein Wunder, dass derzeit widersprüchliche Signale von der Insel kommen. Während sich die Briten einerseits an Planspielen für die europäische Verteidigungspolitik beteiligen, wehren sie sich andererseits gegen Vorschläge der italienischen Präsidentschaft, das Vetorecht in der Außenpolitik einzuschränken.

Doch auch Italiens Verfassungsentwurf trägt nicht zur Klarheit bei. Außenpolitik auf der Grundlage von Mehrheitsentscheidungen, wie von Rom gewollt, würde die Gemeinschaft stärken. Doch gleichzeitig will Rom dem Entwurf eine Klausel zufügen, die den europäischen Außenminister schwächt. Er soll zwar in der Kommission arbeiten – aber nur, soweit das mit seinen Aufgaben als Vertreter der Regierungen vereinbar ist.

Eine solche Konstruktion würde sich kaum vom derzeitigen Durcheinander unterscheiden, wo Rat und Kommission jeweils einen eigenen Vertreter in außenpolitische Treffen entsenden. Nicht „double-hatted“ (mit zwei Hüten versehen) sei man auf diesem neuen Posten, lästerte ein EU-Kommissar, sondern „double-hated“ (zweifach gehasst). Ein Kommissionssprecher sagte, die Verfechter der zwischenstaatlichen Methode (Großbritannien, Dänemark und die meisten Kandidatenländer) seien derzeit in der Verfassungsdiskussion in der Offensive – die Gemeinschaftsmethode werde in den Hintergrund gedrängt.

Als gäbe es nicht schon genug Probleme, bricht auch die Debatte um den christlichen Bezug in der Verfassungspräambel wieder auf. Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) versuchte, der Türkei dafür den schwarzen Peter zuzuschieben. Die italienische Präsidentschaft hat vorgeschlagen, die drei Kandidatenländer Rumänien, Bulgarien und die Türkei als Beobachter den neuen Verfassungsvertrag mit unterzeichnen zu lassen. „Wenn es nicht gelingt, in der europäischen Verfassung einen Bezug auf das lebendige christliche Erbe zu verankern, ist dies auch eine Folge der Mitwirkung der Türkei an der Regierungskonferenz“, erkärte Ferber. Ein Kommissions-Sprecher forderte die Außenminister gestern auf, in Neapel alle Fragen abschließend zu klären und nur die rein machtpolitischen Details – Stimmengewichtung im Rat, Anzahl der Kommissare, Rolle des Außenministers – auf den Gipfel Mitte Dezember zu verschieben. Ein frommer Wunsch.

DANIELA WEINGÄRTNER

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