: Schneller, bissiger, Spitzenreiter
EUPHORIE Nachdem der VfL Wolfsburg die auswärtsstarken Leverkusener 2:1 besiegt, gewöhnen sich zumindest die Fans schon mal ans Tabellenführerdasein. VfL-Trainer Magath lässt sich erwartungsgemäß nicht anstecken
VON ROGER REPPLINGER
In Wolfsburg ist so was wie Euphorie ausgebrochen. Noch keine richtige, aber es ist auch nicht mehr weit dahin: Die letzten vier Heimspiele sind ausverkauft, die Fans bringen Fahnen mit, sie singen, sie rufen: „Spitzenreiter, Spitzenreiter eh, eh, eh!“ Sie kennen die Namen ihrer Spieler. Rufen wieder und immer wieder: „Spitzenreiter, Spitzenreiter eh, eh, eh!“ Musik und Ansagen vor dem Spiel sind so laut, dass sie auch von den Senioren gehört werden. Der Wolfsburger an sich ist also völlig aus dem Häuschen.
Es ist aber auch nicht schwer, im Moment für den VfL Wolfsburg zu schwärmen. Und das bleibt auch so nach dem 2 : 1 (1 : 0) gegen Bayer Leverkusen am vergangenen Wochenende. Der zehnte Sieg hintereinander – vor 29.500 Zuschauern –, die Tabellenführung ist untermauert.
Der VfL spielt gegen die auswärtsstärkste Mannschaft der Liga zum vierten Mal mit der gleichen Startaufstellung. Trainer Felix Magath sieht keinen Grund, etwas zu ändern. Beide Mannschaften also in Rautenformation, offensiv. Leverkusen wird von Jörn Andersen beobachtet, Trainer des FSV Mainz, mit Blick auf den DFB-Pokal.
Nun aber erarbeitet Leverkusen sich erst mal gegen Wolfsburg Torchancen, was dazu führt, dass sich Magath an der Seitenlinie zeigt. Prompt fällt das 1 : 0 für den VfL. Manuel Friedrich und Grafite, 20 Tore, im Zweikampf: Der Wolfsburger Brasilianer setzt seinen Körper ein, schiebt Friedrich weg, der hält ihn für einen Moment an der Hand. Grafite fällt, Schiedsrichter Jochen Drees pfeift Strafstoß. Grafite schießt selbst, Bayer-Keeper René Adler ist ohne Chance (23.) – und Friedrich wird nach dem Spiel brummen: „Da zieh ich ein bisschen an den 130 Kilo und die fallen gleich um. Ich wusste gar nicht, dass ich so stark bin.“ Nach der Szene geraten die folgenden Zweikämpfe zwischen Grafite und Friedrich dann etwas verbissen.
Nach der Führung hat der VfL mehrfach die Gelegenheit, das Spiel für sich zu entscheiden. Wolfsburg ist schneller und dort, wo es drauf ankommt, bissiger: vor dem Tor – dem eigenen wie auch dem gegnerischen.
In der 42. Minute hätte Schiedsrichter Drees dem Leverkusener Torwart Adler Rot zeigen müssen: Grafite war allein auf den Keeper zugestürmt, dieser war aus seinem Tor herausgekommen und hatte, gut sechs Meter vor dem Strafraum, den Ball mit der Hand gespielt – und den gegnerischen Spieler gleich mit umgerissen.
Gleich nach der Halbzeit trifft Leverkusens Nationalspieler Simon Rolfes auf Vorarbeit von Michal Kadlec den linken Wolfsburger Pfosten. „Die ersten zwanzig Minuten in der ersten und der zweiten Halbzeit hat Leverkusen dominiert“, wird Magath später erklären. „Wir haben Glück gehabt, dass wir in dieser Phase in Halbzeit eins kein und in Halbzeit zwei nur ein Tor kassiert haben.“ Dieses Tor macht Toni Kroos (54.).
Ab Mitte der zweiten Halbzeit übernimmt dann Wolfburg die Initiative. Zvjezdan Misimović schickt den überragenden Grafite, der den Ball an Adler vorbeibringt (85.). Dafür hält Adler einen eigentlich Unhaltbaren vom eingewechselten Ashkan Dejagah (89.). In der Nachspielzeit bekommt Wolfsburgs Innenverteidiger Jan Šimůnek einen Flankenball von Sascha Dum an die Hand, Schiedsrichter Drees pfeift nicht.
Auf die Frage, was denn nun mit dem Saisonziel sei, sagt derselbe Šimůnek nach dem Spiel, den Blick auf die Tabelle gerichtet: „Bis Platz fünf.“ Dann lacht er, und alle lachen mit. Dann wird Šimůnek rot. Zu den späten Toren – gegen Bielefeld in der 87., gegen Gladbach in der 85. Minute, und jetzt auch wieder –, sagt Šimůnek: „Wir haben viel trainiert in der Vorbereitung. Das wisst ihr doch.“ Dann kann er erst mal nicht weitersprechen. Vor Lachen.
Das ist fast Euphorie, da in Wolfsburg. Fast.