„Wir sind zu indifferent gegenüber den Islamisten“, sagt Herbert Landolin Müller

Die Debatte um Multikulti und radikale Religiöse zeigt: Die deutsche Mehrheitsgesellschaft ignoriert viele Probleme

taz: Herr Müller, ist ein religiös motivierter Mord wie in den Niederlanden auch in Deutschland denkbar?

Herbert Landolin Müller: Ganz sicher sind wir nicht. Wir haben zwar keinen so offensichtlichen Provokateur wie Theo van Gogh, aber im Streit um „Islamophobie“ ist es möglich, dass Sensibilitäten unterschätzt werden.

Wird auch die Gefahr des islamistischen Terrors hierzulande unterschätzt?

Den unterschätzt man hier schon lange. Sogar was im Nahen Ausland vor sich geht, ist für viele immer noch weit weg – obwohl wir durch die internationalen Strukturen des Terrors davon betroffen sind. Deutschland ist ein Operationsfeld. Hier wurde beispielsweise der Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant. Die Bundeswehr steht in Afghanistan, man ist bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit dabei. Es gibt klare Aussagen in Pamphleten, die mir vorliegen, dass Deutschland nicht davon ausgehen könne, außen vor zu sein. Das wollen einige nicht wahrhaben.

Auch in den zuständigen Institutionen?

Wir vom Verfassungsschutz tun, was wir können, im Rahmen unserer Gesetzgebung. Wir müssen aber auch als Bürger fragen: Was wollen wir? Mehr Sicherheit oder mehr Freiheit? Dies ist das Spannungsfeld, in dem wir agieren.

Wie wurde beim Verfassungsschutz auf den politischen Islam reagiert?

Nach dem Anschlag am 11. 9. in den USA wurden mehr Islamwissenschaftler eingestellt, aber man hat sich schon vorher mit den Islamisten auseinander gesetzt.

Manche werfen der islamischen Community vor, dass sie sich zu wenig von Militanten distanziere. Stimmt das?

Ich denke ja. Man muss den Militanten die Basis entziehen und auch denjenigen, die sie unterstützen. Ich bin kein Befürworter von Verboten, aber man muss sich politisch mit dem Sumpf auseinander setzen, in dem diese gefährlichen Blüten gedeihen. Er muss ausgetrocknet werden. Da sind auch die Muslime selbst, da ist der politische Islam gefragt. Der politische Islam liefert die Stichworte und Begründungen für die Militanten. Das muss er hinterfragen. Good-Will-Bekundungen allein reichen nicht.

Hat der Verfassungsschutz eigentlich Einblick in die einschlägigen Moscheen?

Im Rahmen des Möglichen – ja.

Verstehen ihre Leute die Predigten der Imame?

Wir sind nicht ganz unbedarft.

Ist die deutsche Gesellschaft zu unbedarft im Umgang mit Islamisten?

Vielleicht gibt es bei uns zu wenig demokratisches Selbstbewusstsein und zu viel Feigheit. Wir brauchen mehr Zivilcourage, und wir müssen klar für humane und liberale Werte, für unsere Werte, einstehen. Auch gegenüber Migranten – gleich welcher Religion. Wir dürfen uns dabei nicht durch Totschlagargumente wie „Islamfeindschaft“ stumm machen lassen.

Sie meinen, wir übersehen, wie groß die Probleme sind?

Insbesondere bei Muslimen fasst man das Thema nur zaghaft an. Ich erinnere an eine Studie über Antisemitismus unter Muslimen in der EU, die von Berliner Forschern erstellt wurde. Da gab es enorme Widerstände gegen eine Veröffentlichung, weil man Angst hatte, Muslime an den Pranger zu stellen. Oder ich erinne an eine Fatwa wegen eines Theaterstückes in Heilbronn. Da beschränkte sich die Solidarität mit den Betroffenen auf verbale Äußerungen, obwohl diese konkret bedroht waren. Islamisten konnten verbreiten, dass solche „Elemente“ seit der Salman-Rushdie-Affäre eigentlich wissen müssten, wie man sich zu verhalten habe. Wenn Kritiker mundtot gemacht werden und breite Solidarität ausbleibt, dann versagt die Gesellschaft. Islamisten und vor allem die Hardcore-Aktivisten testen erst einmal aus, wie weit sie gehen können. Je weiter man da zurückweicht, umso mehr ziehen sie nach.

Eine falsch verstandende Toleranz?

Kritik, auch wenn sie scharf ist, müssen alle dulden. Toleranz ist bei uns eher nachhaltige Indifferenz. Man muss sich bei dieser Art der Toleranz nicht mit den Schattenseiten des Zusammenlebens auseinander setzen.

Kann man das Netzwerk des radikalen Islamismus in Deutschland beziffern?

Nein, Zahlen zu nennen ist problematisch. Ich wäre froh, wenn ich mir eine exakte Vorstellung machen könnte, wie tief die militanten Strukturen reichen. Solange es möglich ist, dass ein Spiegel-Reporter wie vor Jahren bedroht werden kann, weil er ein Bild, das angeblich Mohammed darstellte, in seinem Artikel verwendet hat, zeigt sich, dass diese inquisitorische Haltung der Islamisten bei uns stark verbreitet ist.

Gibt es in Deutschland heute eine islamische Parallelgesellschaft?

Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Gemeinschaften, zu denen die deutsche Gesellschaft keinen Bezug hat. Man lebt nebeneinander. Kommunikation, sich aneinander reiben, um Problem gemeinsam zu lösen, streiten, das kommt selten oder gar nicht vor.

Wir gehen also Reibungen aus dem Weg – so lange, bis sich die Konflikte zuspitzen?

Richtig. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, geht das Geschrei los.

INTERVIEW: EDITH KRESTA