Politische Niederlagen im Irak

Nach dem militärischen Sieg der USA in Falludscha ist der Weg für Wahlen im Januar noch lange nicht frei. Vor allem ist es nicht gelungen, große Teile der Sunniten in den politischen Prozess zu integrieren

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Endlich gibt es eine Siegesmeldung für die Übergangsregierung und die amerikanischen Truppen im Irak. Es hat etwas über eine Woche gedauert, dann waren die Aufständischen in Falludscha von der militärischen Übermacht der USA in die Knie gezwungen. Die Hochburg der Rebellen ist wieder unter amerikanischer Kontrolle.

Dem militärischen Erfolg stehen allerdings eine ganze Reihe von politischen Niederlagen gegenüber. Die erste ist ein herber Schlag im Propagandakrieg. Die Öffentlichkeit hat gerade die Folterbilder von Abu Ghraib verdaut, da bekommt der Sieg in Falludscha durch ein jetzt veröffentlichtes Video erneut einen bitteren Beigeschmack. Vor laufender Kamera exekutiert da ein US-Marine einen unbewaffneten, verwundet am Boden liegenden irakischen Rebellen per Kopfschuss. Eine verheerende Sequenz. Im Irak selbst wundert sich darüber indes kaum mehr jemand. Die meisten Iraker haben ihren Glauben an die moralische Überlegenheit der ausländischen Truppen im Land schon längst verloren.

Die Iraker beschäftigt vielmehr ein Misserfolg ihrer Übergangsregierung. Noch vor ein paar Monaten hatten viele von ihnen gehofft, im Januar durch Wahlen dem Chaos ein Ende zu setzen. Eine gewählte Regierung, so die Idee, hätte endlich die Legitimität und damit auch die Autorität, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sicherheit werde nicht durch militärischen Druck, sondern durch Legitimität geschaffen, lautete der Grundsatz. Anfang der Woche begannen nun erstmals Mitglieder des Kabinetts, öffentlich an der Machbarkeit des Wahltermins zu zweifeln. Sicher, im zerbombten Falludscha könnte jetzt theoretisch gewählt werden. Aber die Unruhen, die an allen anderen Orten des sunnitischen Dreiecks ausgebrochen sind, selbst in Städten, die längst als befriedet galten, lassen den Wahltermin als äußerst unrealistisch erscheinen.

Und neben der mangelnden Sicherheit gibt es ein ernstes politisches Problem. Selbst wenn im Januar gewählt werden sollte, wäre die Teilnahme des sunnitischen Bevölkerungsteiles alles andere als gesichert. Es mehren sich die Stimmen unter den Sunniten, die nach Falludscha zum Wahlboykott aufrufen. Bisher sind die USA und Regierungschef Ajad Allawi gescheitert, große Teile der Sunniten in den politischen Prozess des Landes zu integrieren. Statt sie einzubinden, wurden in den letzten Tagen zahlreiche politische Führer der Sunniten aufgrund ihrer Kritik an der Falludscha-Operation festgenommen, auch jene, die vor dem Sturmangriff auf die Stadt noch versucht hatten, zwischen Aufständischen und Regierung zu vermitteln. Die Sunniten werden sich nicht an die Wahlurnen bomben lassen. Wenn sie aber die Wahlen boykottieren, ist das Ergebnis der Abstimmung nichts mehr wert.

Die gefährlichste Entwicklung findet aber derzeit in der nordirakischen Stadt Mossul statt. Dort haben aufständische Sunniten in den letzten Tagen mehrere Polizeistationen überrannt. Einige der sunnitischen Polizisten sind zu den Aufständischen übergelaufen. Das ist in der ethnisch und religiös vielfältigen Stadt, in der Sunniten, Kurden, Turkmenen, Christen und Muslime gemeinsam leben, eine gefährliche Entwicklung. Die US-Truppen sind derzeit in Mossul dünn gesät. Da ist die Versuchung groß, bei dem Versuch, erneut die Kontrolle über die drittgrößte irakische Stadt zu erlangen, auf verbündete kurdische Kämpfer oder wenigstens auf Einheiten mit vorwiegend kurdischen Nationalgardisten zurückzugreifen. Das aber ist das sicherste Rezept, einen Bürgerkrieg zu schüren.

Mit einem unsicheren Wahltermin, der Tatsache, dass der sunnitische Teil der Bevölkerung sich zunehmend vom politischen Prozess entfremdet und einem drohenden Bürgerkrieg ist von dem Erfolg in Falludscha nicht mehr viel übrig. Es bleibt ein kurzer militärischer Sieg in einer ganzen Reihe politischer Niederlagen.