: „Die Uni ist kein Unternehmen“
Auch in Frankreich gehen die Studierenden zu tausenden auf die Straße: gegen soziale Ungerechtigkeiten im Studium und die finanzielle Privatisierung der Universitäten. Einen Teilsieg haben sie dem Bildungsminister bereits abgerungen
PARIS taz ■ „Für eine andere Harmonisierung der Universitäten in Europa“ und gegen eine geplante Dezentralisierung der französischen Universitäten sind am Donnerstag einige zigtausend StudentInnen in ganz Frankreich auf die Straße gegangen. 22 der 90 Universitäten werden bestreikt. Andere organisieren punktuelle Proteste. Vor allem StudentInnen aus sozial schwachen Verhältnissen sehen sich als VerlierInnen der Reformen.
„Ferry, du bist geliefert – die Studenten sind auf der Straße“, skandiert eine Gruppe junger Frauen. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift: „Die Uni ist kein Unternehmen.“ Damit ziehen sie durch das Pariser Quartier Latin. Sie werfen dem Erziehungsminister Ferry vor, dass die von ihm geplante Dezentralisierung, die offiziell „Modernisierung“ heißt, soziale und regionale Ungleichheiten schaffen wird. An diesem Donnerstagnachmittag demonstrieren junge Leute aus den Vorstädten, darunter viele aus Einwandererfamilien, und eine Mehrheit von jungen Frauen. StudentInnen der Eliteschulen sind nicht dabei. „Unis auf für Arbeiter und Immigrantenkinder“, lautet einer ihrer Slogans.
Die Proteste richten sich gegen zwei große Projekte. Das eine ist europäisch, das andere national. Das europäische Projekt wurde noch von der vorausgegangenen rot-rosa-grünen Regierung unterzeichnet. Es soll in 32 Ländern die Abschlüsse angleichen und so die grenzüberschreitende Mobilität erleichtern. In Frankreich heißt dieses Projekt „LMD“ – Licence, Maîtrise, Doctorat – wie die Prüfungen, die nach drei, fünf und acht Universitätsjahren abgelegt werden.
Über die Vorteile einer europäischen Harmonisierung sind sich alle einig. Auch die DemonstrantInnen. Doch sie verlangen, dass nicht nur die Abschlusstitel formal „harmonisiert“ werden, sondern auch Studieninhalte und Studienzeiten. Das aber ist nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Im Rahmen einer Dezentralisierung sollen die Universitäten künftig sowohl Lehrinhalte als auch Studienzeiten stärker selbst festlegen können. Und zwar „kostenneutral“ für den Staat. Die Universitäten sollen sich verstärkt aus drei Quellen finanzieren: Studiengebühren, den Etats der einzelnen Regionen und Sponsoring von Unternehmen.
„Das ist eine Privatisierung. Sie wird gute Ausbildungen in reichen Regionen und Schmalspurausbildungen in armen Regionen bringen“, sagt Nacera, 22-jährige Studentin in der Pariser Vorstadtuniversität St. Quentin. Emilie, 17-jährige Studienanfängerin in Paris, befürchtet, dass die „jeweils größten Unternehmen einer Region bestimmen werden, was an den Universitäten gelehrt wird“.
Kaum haben sich in der vergangenen Woche die ersten studentischen Proteste gerührt, hat Erziehungsminister Ferry seine Dezentralisierung auf Eis gelegt. Er will sie jetzt erst nach den Regionalwahlen im kommenden März in Angriff nehmen. Nicht so LMD: Dafür gibt es schon einen konkreten Zeitplan.
Die Perspektiven der jetzigen Protestbewegung in Frankreich werden ganz unterschiedlich eingeschätzt. Während die rechte Regierung und zahlreiche Medien darauf hinweisen, dass sich nur eine Minderheit der zwei Millionen StudentInnen im Land beteiligt, erklärt der Präsident der studentischen Gewerkschaft Unef, Yassir Fichtali: „30 Prozent der Universitäten sind mobilisiert. Das ist enorm.“ Er rechnet mit einer Zunahme der Proteste.
DOROTHEA HAHN