Schriftreform gestoppt

Russisches Verfassungsgericht verpflichtet Tatarstan auf kyrillisches Alphabet. Gang nach Straßburg möglich

BERLIN taz ■ Die Bewohner der russischen Teilrepublik Tatarstan müssen auch künftig in kyrillischer Schrift schreiben. So lautet eine Entscheidung des russischen Verfassungsgerichtes. Zur Begründung sagte der Vorsitzende des Gerichts, Waleri Zorkin, das Kyrillische sei dem Gesetz „Über die Sprachen der Völker der Russischen Föderation“ zufolge traditionell auch die Schrift der Minderheitssprachen und müsse deshalb in Tatarstan beibehalten werden.

Der Richterspruch stoppt damit erst einmal eine Schriftreform, die in Tatarstan den Übergang vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet vorsieht. Begründet hatten tatarische Linguisten die Reform, für die eine Übergangszeit von 10 Jahren vereinbart war, damit, dass das Tatarische als Turksprache besser mit lateinischen Buchstaben darstellbar ist. Zudem hatten sie festgestellt, dass acht Buchstaben nach der Reform unter Stalin Ende der 30er-Jahre aus der tatarischen Sprache verschwunden sind. Diese Reform hatte alle Völker der Sowjetunion gezwungen, zum kyrillischen Alphabet zu wechseln, um die Einheit des Sowjetstaates zu stärken. Die tatarische Sprache – eine von rund 150 Minderheitensprachen in der Russischen Föderation – war vor der Zwangsreform mit arabischen, später dann mit lateinischen Buchstaben geschrieben worden. Zudem wird in einigen Schulen Tatarstans seit mehreren Jahren wieder die lateinische Schrift verwendet.

Ob der jahrelange Streit zwischen Moskau und Kasan nun beigelegt ist, scheint fraglich. Razil Waleew, Chef des Kulturkomitees des Staatsrates in Tatarstan, kündigte an, es sei notwendig, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden, um das Problem zu lösen. „Natürlich findet sich ein Tatare, der mit dieser Frage nach Straßburg geht.“ Demgegenüber äußerte sich der Vorsitzende des tatarischen Parlaments, Farid Muhamedschin, zurückhaltender. Die Regierung habe nicht vor, die Entscheidung des Verfassungsgericht in Straßburg anzufechten.

MARINA SINALEEVA